Die Spannungen zwischen den USA und China flammen wieder auf, aber Strafzölle sind dieses Mal wahrscheinlich nicht auf dem Tisch. Angesichts des zunehmenden Drucks auf chinesische Aktien, die in den USA notiert sind, darunter auch solche, die in Schwellenländerportfolios weitverbreitet sind, müssen Anleger überlegen, wie sie sich auf die steigenden Risiken vorbereiten können.
Vier Monate, nachdem das Phase-Eins-Handelsabkommen Hoffnungen auf eine Deeskalation zwischen den USA und China geweckt hat, hat die Pandemie ein neues Scharmützel zwischen den Supermächten angeheizt. Die USA drängen die Weltgesundheitsorganisation, den Umgang Chinas mit dem globalen Ausbruch zu untersuchen. Weitere Maßnahmen verhindern amerikanische Technologieexporte nach China. Die Lieferketten durch China werden durch ungelöste politische Fragen und Unternehmensumstrukturierungen inmitten der globalen Abschaltungen erschüttert.
Diese Entwicklungen sind nicht überraschend. Zwar haben sich beide Seiten vom Handelskrieg zurückgezogen, doch die Beziehungen zwischen den USA und China könnten in den kommenden Jahren durchaus heikel sein. Anleger sollten sich auf die möglichen Auswirkungen auf ihre Investmentportfolios konzentrieren.
USA nehmen chinesische Unternehmen ins Visier
Ende April begannen chinesische Aktien in den USA Schlagzeilen zu machen. Die US-Börsenaufsichtsbehörde SEC veröffentlichte eine Erklärung, in der davor gewarnt wurde, dass man sich nicht darauf verlassen könne, dass chinesische Unternehmen transparente Berichte vorlegen. Anleger, die durch mangelnde Offenlegung geschädigt werden, hätten „im Vergleich zu einheimischen US-Unternehmen wesentlich weniger Zugang zu Regressansprüchen“, sagte die SEC.
Weniger als einen Monat später stoppte der Pensionsfonds der US-Bundesregierung Pläne, in chinesische Unternehmen zu investieren. Und am 20. Mai verabschiedete der US-Senat einen Gesetzentwurf, der ausländische Unternehmen von US-Börsen ausschließen würde, wenn sie nicht nachweisen können, dass sie nicht von einer ausländischen Regierung kontrolliert werden, und wenn sie keine größere US-Aufsicht über die Unternehmensfinanzen zulassen. Das würde zwar nur dann gelten, wenn das Unternehmen drei Jahre lang nicht konform ist, könnte aber eindeutig dazu führen, dass große chinesische Unternehmen von den amerikanischen Börsen gestrichen werden. Die chinesische Wertpapieraufsichtsbehörde (China Securities Regulatory Commission) sagte am 24. Mai, dass chinesische und US-amerikanische Aufsichtsbehörden „kontinuierliche Anstrengungen“ unternommen hätten, „die Zusammenarbeit bei der Prüfungsaufsicht zu verbessern“, und dass das Gesetz des Senats sowohl den US-amerikanischen als auch den chinesischen Interessen schaden würde, wenn es erlassen würde.
Einige Aktienanleger mit chinesischen Beteiligungen sind besorgt. Chinesische Aktien sind in den letzten Jahren zu einem wachsenden Bestandteil internationaler Portfolios geworden. Der MSCI hat die Gewichtung chinesischer Onshore-Aktien in seinen globalen und Schwellenmarktindizes erhöht. In den MSCI-Indizes sind 226 chinesische ADR-Aktien (American Depositary Receipts) mit einer Marktkapitalisierung von insgesamt 966 Milliarden US-Dollar gelistet. Aktien großer Unternehmen, die weltweit bekannt geworden sind, darunter die Alibaba Group und NetEase, wirkten plötzlich anfällig für Kräfte, die sich ihrer Kontrolle entziehen.
Sind chinesische Unternehmen weniger transparent?
Sind chinesische Aktien also wirklich weniger transparent? Der jüngste Bilanzskandal bei Luckin Coffee, Chinas größter Coffeeshop-Kette, hat die finanzielle Transparenz der chinesischen Unternehmen sicherlich in den Mittelpunkt gerückt. Aus diesem Grund müssen aktive Anleger bei chinesischen Kandidaten stets gründlich recherchieren, um sicherzustellen, dass die attraktivsten Unternehmen strenge Rechnungslegungsvorschriften einhalten. Tatsächlich sind wir sogar der Meinung, dass Chinas Anforderungen an Börsennotierungen strenger sind als allgemein angenommen, und einige Unternehmen streben US-Notierungen an, um eine strengere Prüfung im eigenen Land zu vermeiden.
Widersprüchliche regulatorische Rahmenbedingungen sind ebenfalls eine Quelle von Unstimmigkeiten. So wurden zum Beispiel drei chinesische Banken im Juni 2019 von einem US-Gericht wegen Nichtfreigabe von Informationen und Verletzung der nordkoreanischen Sanktionen verurteilt. Nach dem Anti-Terror-Gesetz der USA waren diese Unternehmen verpflichtet, Kundeninformationen im Zusammenhang mit verdächtigen Konten offenzulegen. Das würde jedoch gegen chinesische Regeln verstoßen. Obwohl es derzeit keinen Mechanismus zur Lösung dieser Art von regulatorischen Konflikten gibt, deuten jüngste Berichte darauf hin, dass amerikanische und chinesische Offizielle über mögliche Lösungen diskutieren.
Wie sieht es mit dem Rückzug von US-Bundespensionsanlagen aus chinesischen Aktien aus? Wir glauben nicht, dass das für chinesische Aktien oder Investoren ein wesentliches Thema ist, da es keine nennenswerten Investments in diese Aktien aus den Pensionsanlagen der US-Bundesbehörden gibt. Dennoch zielt die Botschaft darauf ab, US-Investoren davon abzuhalten, Geld in chinesische Aktien zu investieren.
Wie man sich auf ein mögliches Delisting vorbereitet
Ein Delisting von chinesischen ADRs von US-Börsen ist eine Möglichkeit. Auch wenn es Unternehmen in anderen Ländern davon abhalten könnte, Aktien in den USA auszugeben, wächst der politische Druck in den USA, gegen chinesische Unternehmen vorzugehen. Anleger sollten daher die Möglichkeit von Maßnahmen, die den normalen Handel mit chinesischen ADRs stören könnten, nicht ausschließen.
Man kann sich auf ein solches Szenario vorbereiten, ohne sein Engagement in chinesischen Aktien aufzugeben. Heute streben mehr chinesische Unternehmen mit ADRs eine weitere Notierung in Hongkong an, und der Hang-Seng-Index unternimmt Schritte, um ihnen diese Möglichkeit zu erleichtern. Die chinesische Regierung ermutigt die Unternehmen ebenfalls, eine doppelte Notierung in Erwägung zu ziehen.
Während chinesische ADRs ihre Zweitnotierung in Hongkong einrichten, können sich Anleger unter anderem darauf vorbereiten, in den USA notierte chinesische Beteiligungen in Hongkong-Aktien zu tauschen. Das ist zwar mit Umtauschkosten verbunden, kann aber unserer Meinung nach dazu beitragen, Störungen im chinesischen Aktienengagement zu vermeiden, wenn chinesische Aktien in den USA illiquide werden.
Über politische Spannungen hinausblicken
Während die Coronavirus-Krise in den kommenden Monaten die Spannungen zwischen den USA und China wahrscheinlich noch verstärken wird, sind wir der Meinung, dass diese Störungen nicht die Anlagechancen in China überschatten sollten, wo sich die Wirtschaft erholt und die Gewinne relativ widerstandsfähig geblieben sind.
Natürlich sollte jedes Unternehmen – in China und anderswo – auf seine finanzielle Transparenz hin überprüft werden, und man darf in Bezug auf die potenziellen politischen Risiken nicht unvorsichtig sein. Wer das Potenzial der wirtschaftlichen Erholung Chinas und des dynamischen Unternehmenssektors nutzen will, kann durch chinesische A-Aktien Zugang zu attraktiv bewerteten Unternehmen erhalten, die weniger unvorhersehbaren regulatorischen Risiken und internationalen Spannungen ausgesetzt sind.
John Lin ist Portfoliomanager für China Equities bei AllianceBernstein (AB).
Stuart Rae ist Chief Investment Officer für Asia-Pacific Value Equities bei AllianceBernstein (AB).
In diesem Dokument zum Ausdruck gebrachte Meinungen stellen keine Analysen, Anlageberatungen oder Handelsempfehlungen dar, spiegeln nicht unbedingt die Ansichten aller Portfoliomanagementteams bei AB wider und können von Zeit zu Zeit überarbeitet werden.