US-Zölle bremsen Erwartungen, aber nicht die Weltwirtschaft
Änderungen in der US-Handelspolitik haben die Märkte im vergangenen Quartal herausgefordert, doch die Weltwirtschaft wächst weiterhin – trotz einer gewissen Abschwächung in den USA. Die durch die Ankündigung der Zölle stark beeinträchtigte Stimmung bei Haushalten und Unternehmen scheint sich zu erholen, da die Aussichten klarer werden. Zwar bleibt die Industrie schwächer als der Dienstleistungssektor, sie liegt jedoch über den Tiefständen der Zeit nach der Pandemie.
Da Importeure die Auswirkungen umfassender Zölle in ihre Geschäftsprozesse einbezogen haben (siehe linke Grafik), wurden die Gewinnerwartungen von Unternehmen deutlich nach unten korrigiert. Zyklische Branchen und Gütersektoren – also jene, die besonders stark unter einem Handelskrieg leiden würden – verzeichneten die stärksten Abwärtskorrekturen (siehe rechte Grafik).
Abbildung 1: Gewinnerwartungen sinken – Unternehmen reagieren auf Zollbelastungen
Quelle: Bernstein Research, Bloomberg, Haver Analytics und AllianceBernstein (AB)
Widerstandsfähige Nachfrage als Wachstumsanker
Trotz der eingetrübten Stimmung bei Haushalten und Unternehmen hat sich die Endnachfrage weitgehend widerstandsfähig gezeigt. Zwar hat sich der US-Konsum in der ersten Jahreshälfte etwas abgeschwächt, doch starkes reales Lohnwachstum und anhaltende Beschäftigungszuwächse stützen die Kaufkraft sowohl in den USA als auch in der EU. Die US-Verbraucherausgaben sind im Jahresvergleich zurückgegangen, wurden jedoch teilweise durch eine zunehmende Dynamik in anderen Regionen der Welt kompensiert.
Auch die Unternehmensausgaben scheinen stabil zu bleiben. Das schwache Vertrauen dämpft vor allem die Investitionspläne von Industrieunternehmen und kleineren Firmen. Dieses Nachlassen wird jedoch weitgehend durch robuste Investitionen im US-Technologiesektor aufgefangen – insbesondere durch anhaltende Ausgaben im Bereich Künstliche Intelligenz.
Handelspolitik trifft Haushaltspolitik
Da Zölle faktisch als Steuer wirken, haben die jüngsten US-Handelspolitiken zu einer restriktiveren Fiskalpolitik geführt (siehe linke Grafik). Das Gesetzespaket „One Big Beautiful Bill“ ist final beschlossen und basierend auf den bisher bekannten Inhalten erwarten wir, dass die Einnahmen aus den Zöllen weitgehend kompensiert werden. Damit dürfte sich das US-Haushaltsdefizit ab Oktober 2024 wieder auf dem Kurs wie vor Einführung der Zölle bewegen (siehe rechte Grafik). Das bedeutet zwar eine Belastung für die fiskalische Nachhaltigkeit – wirkt sich jedoch kurzfristig positiv auf das Wirtschaftswachstum aus. Aus unserer Sicht dürfte dies den negativen Effekt der Zölle spürbar abfedern.
Abbildung 2: Globale Haushalte unter Druck – US-Fiskalpaket könnte Schuldenlast erhöhen
Quelle: Congressional Budget Office, International Monetary Fund and AB
Technologie, Konsum, Infrastruktur: Drei Gründe für ein Aktienübergewicht
Vor diesem Hintergrund spricht vieles dafür, entwickelten Marktaktien ein leichtes Übergewicht einzuräumen – insbesondere in den USA, Japan und Europa. Die Gründe: Wir erwarten in den USA stabile Konsumausgaben und weiterhin hohe Investitionen im Technologiesektor. In Europa zeigen sich verbesserte Konsummuster und umfangreiche staatliche Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur.
Märkte mit hoher Rohstoffabhängigkeit – etwa Kanada oder das Vereinigte Königreich – halten wir hingegen für unterzugewichten. Bei Schwellenländern erscheint eine neutrale Positionierung angemessen, vorwiegend angesichts der strukturellen Herausforderungen in China wie Überkapazitäten in der Industrie und dem damit verbundenen Druck auf Unternehmensgewinne.
Zwischen Risiko und Stabilität: Anleihen im aktuellen Marktumfeld
In Bezug auf Unternehmensanleihen empfehlen wir ein Gleichgewicht zwischen Hochzinssegmenten und Aktienengagements. Zwar haben sich Kreditmärkte infolge der verbesserten Tariferwartungen erholt, doch die Spreads liegen inzwischen nahe ihrem historischen Median. Sollten sie weiter sinken, wäre es sinnvoll, Risikoengagements eher über Aktien als über Anleihen zu steuern – insbesondere, wenn eine hohe Verschuldung im Portfolio ein Thema ist.
Für Staatsanleihen sprechen wir uns aktuell für eine neutrale Gewichtung aus. Die Leitzinsen bleiben hoch, die Inflation entwickelt sich günstig, doch wir erwarten, dass die US-Notenbank zunächst keine weiteren Zinsschritte vornimmt, bis die Auswirkungen der Zölle in den Wirtschaftsdaten sichtbar werden.
Flexibel bleiben – gezielt diversifizieren
Insgesamt erwarten wir ein Umfeld mit moderatem Wirtschaftswachstum. Die Unternehmensgewinne spiegeln bereits viele direkte Zollrisiken wider, die deutlich geringer ausfallen dürften als etwa die Stagflation im Jahr 2022. Sollten sich die Zolleffekte tatsächlich als temporär herausstellen, könnte das Gewinnwachstum wieder auf sein historisches mittleres Zyklusniveau zurückkehren. Für Multi-Asset-Anleger bedeutet das: Selektive Diversifikation und Flexibilität bleiben entscheidend.
Von Karen Watkin, Portfolio Managerin, AllianceBernstein
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