Quo vadis, Aktienmärkte?
Die Konsensschätzungen für das Wachstum der Gewinne pro Aktie wurden zuletzt in allen Regionen erneut leicht nach unten korrigiert. In Europa liegen die Erwartungen demnach bei 2,3 Prozent für 2019 und 9,7 Prozent für 2020. „Wir halten diese Annahmen für unrealistisch und gehen davon aus, dass der Gewinn pro Aktie für 2019 etwa bei null liegen dürfte“, sagt Yves Ceelen, Head of Institutional Portfolio Management bei DPAM. „Allerdings rechnen wir nicht mit rückläufigen Gewinnen, da sich die Wirtschaft insgesamt recht gut hält“.
Der Asset Allocation-Stratege nimmt an, dass die Volatilität in den kommenden Monaten weiterhin eine bedeutende Rolle an den Aktienmärkten spielen wird. Als Gründe hierfür nennt er auf globaler Ebene die Wachstumsprobleme (vor allem in China), die Eskalation des Handelsstreits zwischen den USA und China sowie die Spannungen im Nahen Osten. Europa bleibe ein Pulverfass – zum einen durch den Risikofaktor Italien, zum anderen durch den mit Boris Johnson als neuer Premier wieder wahrscheinlicher gewordenen ‚harten‘ Ausstieg Großbritanniens aus der EU.
„Die Gesamtsituation spricht dafür, diversifizierende Komponenten im Portfolio nicht außer Acht zu lassen. Insgesamt bleiben wir für Aktien bei einer leicht untergewichteten bis neutralen Positionierung“, sagt Yves Ceelen. „Obwohl sich die Märkte in einem Spannungsfeld zwischen zyklischem Abschwung und lockerer Geldpolitik der Zentralbanken befinden, halten wir eine zu negative Einstellung für unangebracht.“
Er begründet seine Einschätzung vor allem mit der Bereitschaft der Zentralbanken, Wachstum und Bewertungen durch weitere Anreize zu unterstützen, so dass geringere Gewinne durch höhere Kennzahlen ausgeglichen werden sollten. Gleichzeitig werde auch China neue Anreize über geld- und haushaltspolitische Maßnahmen schaffen. Daher ist der DPAM-Experte der Auffassung, dass die derzeitige Schwäche des Wachstums und der Gewinne lediglich eine Delle in einem langfristigen Aufwärtstrend bilden.
Die regionalen Aktienmärkte beurteilen Yves Ceelen und sein Team aktuell folgendermaßen:
Europa: Die Bewertungen zeigen sich weiterhin attraktiv, während die allgemeinen Gewinnerwartungen zu optimistisch sind. Politische Probleme (Brexit, Italien) belasten nach wie vor die Stimmung. Wir erkennen daher keinen Impuls, der diese Bewertungslücke schließen könnte. Aus der Bottom-up-Perspektive kennzeichnet sich der europäische Aktienmarkt weniger durch Qualität als vielmehr eine starke Abhängigkeit von Finanzwerten und durch Disruption beeinträchtigte Branchen. Wir sind jedoch weiterhin fest vom Potenzial des aktiven Managements überzeugt, mit dem sich in Europa eine Outperformance erzielen lässt.
USA: Die Bewertungen sind im Vergleich zu Anleihen und europäischen Aktien weniger attraktiv, während das Gewinnwachstum mit dem in Europa vergleichbar ist. Allerdings unterstützen Aktienrückkäufe weiterhin das Wachstum der Gewinne pro Aktie. Im US-Aktienmarkt haben vor allem disruptive Unternehmen ein hohes Gewicht. Hinzu kommt, dass man im Vergleich zu anderen globalen Aktienmärkten höherwertige Unternehmen findet und der Markt robuster ist.
Japan: Nippon-Aktien gehören mit einem hohen Anteil von Investitionsgüter- und Automobilherstellern nach wie vor zu den konjunkturempfindlichsten Märkten. Wir gehen davon aus, dass die für Oktober geplante Umsatzsteuererhöhung kurzfristig eine bremsende Wirkung auf die Wirtschaft haben wird. Die Erwartungen für das Gewinnwachstum in 2019 sinken weiter und liegen derzeit bei -7 Prozent. Massive Aktienrückkäufe könnten jedoch einen Ausgleich zu den negativen Schlagzeilen schaffen. Mittelfristig bleiben die Bewertungen attraktiv, und die Geldpolitik ist weiterhin extrem akkommodierend. Der Yen behält seine Funktion einer Fluchtwährung, mit möglicherweise negativem Einfluss auf die Entwicklung japanischer Aktien in Euro gerechnet.
Aktien der Schwellenländer beurteilen wir neutral und sind überzeugt, dass es China gelingen kann, seine Wachstumsschwäche durch geld- und haushaltspolitische Maßnahmen in den Griff zu bekommen - auch trotz der weiteren Eskalation im Handelsstreit mit den USA. Mäßige Kapitalabflüsse haben zuletzt wieder Kapitalzuflüssen Platz gemacht. Die Bewertungen liegen unter ihrem langfristigen Durchschnitt, und die Risikoaufschläge sind die höchsten im Universum der Schwellenländeraktienmärkte. Ein sich stabilisierender oder etwas schwächerer Dollar hätte unterstützende Wirkung für die Emerging Markets.