ESG - ein Performancetreiber? Ja, aber…
Die Kriterien Umwelt, Soziales und Unternehmensführung sind mittlerweile im Management von Portfolios der meisten Anlageklassen nicht mehr wegzudenken. In Europa wird bereits fast jeder zweite Euro in nachhaltigen Investments angelegt. Ein Treiber des Zuspruchs ist die relative Outperformance* im Vergleich zu traditionellen Ansätzen, die ESG-Kriterien nicht berücksichtigen.
„Eine Schlüsselrolle spielt die Vermeidung von Verlusten, die aus kontroversem Verhalten von Unternehmen führen. Nach Analysen von Bank of America Merill Lynch wurde seit 2014 durch ESG-Kontroversen allein von Unternehmen aus dem S&P500 ein Wert von 550 Milliarden Dollar vernichtet. Dies zeigt deutlich, dass Verlustrisiken in Portfolios begrenzt werden können, wenn kontroverse Unternehmen bzw. Sektoren von vornherein identifiziert und gemieden werden“, sagt Tom Demaecker, Portfoliomanager ESG-Aktienstrategien bei DPAM. „Die Frage des Mehrwertes von ESG-Ansätzen in Bezug auf die Wertentwicklung muss jedoch auch mit einem ‚Aber‘ beantwortet werden.“
ESG-Assets wachsen ‚inflationär‘
Die meisten Anlagemittel fließen mittlerweile in ESG-Produkte – eine Entwicklung, die vor allem bei Aktien mit den besten ESG-Ratings starke Bewertungsanstiege zur Folge hat. Dabei muss hinterfragt werden, ob das Nachhaltigkeitsverständnis im Markt nicht teilweise noch sehr eingeschränkt ist und hohe Bewertungen einiger weniger Titel tatsächlich fundamental gerechtfertigt oder nur ein Resultat der hohen Mittelzuflüsse sind.
Neben der generell hohen Nachfrage nach ESG-Produkten ähnelt sich häufig auch die Herangehensweise der Asset-Manager. Wenn alle den gleichen ESG-Ansatz fahren und im Wesentlichen die gleichen Indikatoren nutzen, um ESG-Risiken und -Chancen einzuschätzen, steigt automatisch das Interesse an denjenigen Aktien, die die beste ESG-Bewertung erhalten. Dies führt zu einem Nachfragetrend, der sich immer weiter verstärkt. Als Konsequenz schneiden Aktien, die durch das allgemeine ESG-Raster fallen, automatisch schlecht ab. Das muss jedoch nicht bedeuten, solche Unternehmen komplett vom eigenen Investitions-Radar zu streichen.
Mehr ESG-Offenlegung heißt nicht immer mehr Performance
„ESG-Ratings fokussieren immer noch zu stark auf die Offenlegung und das Berichtswesen über ESG in den Unternehmen“, kritisiert Tom Demaecker. In der Tat schneiden solche Gesellschaften in den Ratings am besten ab, die besonders viele ESG-Daten offenlegen. Dies führe dazu, so der Experte, dass große Unternehmen, die üblicherweise mehr Informationen liefern als kleinere Firmen, die besseren Ratings erhalten. Doch sind kleinere und aufstrebende Unternehmen häufig überaus interessante Investments mit guten ESG-Werten.
Da kleinere Titel aber meist nicht in den großen Datenbanken abgebildet werden, sondern nur hochkapitalisierte Large Caps, erschließen sich aktiven Fondsmanagern, die nicht nur nach Ratings, sondern auch nach eigenen ESG- und fundamentalen Kriterien beurteilen, lukrative Alternativen. Überhaupt zeige sich, dass ein hohes Maß an ESG-Offenlegung nicht zwangsläufig zu einer besseren Wertentwicklung führt. Die proprietäre ESG-Analyse eines Anbieters von nachhaltigen Anlagen kann deshalb dazu beitragen, „Greenwashing“ zu vermeiden. „Es ist wichtig zu unterscheiden, ob ein Unternehmen einfach nur ESG-Maßnahmen offenlegt oder tatsächlich stark engagiert ist im Hinblick auf die zugrundeliegenden Risiken und Chancen“, betont der DPAM-Nachhaltigkeitsmanager.
‚Umwelt‘-Bias dominiert das Datenuniversum
Ein Blick auf die ESG-Scores von großen Datenanbietern, wie Sustainalytics, MSCI und Thomson Reuters, zeigt, dass die Umwelt-Komponente den größten relativen Performancebeitrag liefert, während die Aspekte Soziales und Unternehmensführung in der Fläche noch untergeordnete Rollen spielen. Umso wichtiger ist es, für jedes analysierte Unternehmen bzw. jeden analysierten Sektor genau zu prüfen, welche der drei ESG-Säulen im Einzelfall tatsächlich besonders relevant sind. Zum Beispiel sollten Softwareunternehmen wie SAP eher auf Mitarbeiteraspekte hin untersucht werden, da sie in Bezug auf Entwicklung und Service stärker vom Faktor ‚Mensch‘ abhängig sind als beispielsweise Versorger wie RWE, bei denen Umweltkennziffern und dementsprechende Regulierungsaspekte deutlich entscheidungskritischer sind.
Über die üblichen Datenquellen hinaus gehen
„Der Teufel steckt im Detail. Die tatsächliche ESG-Güte eines Unternehmens lässt sich nur schwer in einem aggregierten Wert erfassen. Produktanbieter sollten die Heterogenität der verfügbaren Daten berücksichtigen und möglichst auf verschiedene Datenlieferanten setzen. Noch besser ist ein eigenes ESG-Research, um die Schwächen externer Datenquellen zu kompensieren - nicht nur in Bezug auf Umwelt, sondern auch Soziales und Governance“, betont Tom Demaecker.
Im Rahmen eines proprietären Researchs lassen sich unter Nachhaltigkeitsaspekten weitere, wirklich relevante und gewinnbringende ESG-Daten ermitteln. Hierzu ein Beispiel aus dem Bereich ‚Soziales‘: Eine von Google Scolar über 27 Jahre erhobene Studie belegt, dass diejenigen US-Firmen, die von aktuellen und ehemaligen Mitarbeitern in die „100 besten US-Arbeitgeber“ gewählt wurden, eine Outperformance zwischen 2 und 4 Prozent erzielten.
* nach Erhebungen von Sustainalytics, S&P500 sowie BoAML