Dazu haben sie die Entwicklung des „Angstbarometers“ der Wall Street, des VIX Index, als Maß dafür herangezogen, wie schmerzvoll die Pandemie für Finanzmarktteilnehmer war. Wie sie feststellen, könnten ihre Erinnerungen an die Pandemie im Rückblick überraschend positiv ausfallen – trotz des Traumas vom März 2020.
„Nach den dramatischen Wochen vom Februar und März 2020 schalteten die Finanzmärkte größtenteils in einen optimistischen Modus“, schreibt Jackson in der aktuellen Ausgabe der Invesco-Publikation „Uncommon Truths“. Der VIX Index, der die implizite Volatilität von Optionen auf den S&P 500 misst und gerne als Indikator für Finanzmarktstress herangezogen wird, zeige, dass die Nervosität der Märkte im März 2020 ein nie zuvor gesehenes Ausmaß erreicht habe – der Höchststand des VIX Index von 82,69 am 16. März markierte einen Tagesrekord. Mit der Erholung der Wirtschaft ging die Volatilität in der Folge jedoch wieder zurück. Im April 2021 notierte der VIX Index mit durchschnittlich 17,4 und damit deutlich unter dem historischen Durchschnitt von 19,5 (seit 1990). Nach Ansicht der Invesco-Experten deutet das auf ein „Happy End“ der turbulenten Phase hin.
Allerdings weisen sie darauf hin, dass die Volatilität erfahrungsgemäß auch saisonalen Mustern folgt, wobei die niedrigsten VIX-Werte im Schnitt im Frühjahr und Frühsommer gemessen werden. Im Spätsommer folge häufig eine Phase höherer Volatilität, die ihren Höhepunkt im Zeitraum September-November erreiche. „Wenn dieser typische Verlauf auch 2021 eintritt, könnte die niedrigere Volatilität der vergangenen Wochen noch mehrere Monate anhalten“, so Jackson. Wie er erklärt, scheint der Rückgang des VIX Index von März bis April 2021 sowohl saisonale als auch zyklische Gründe zu haben: neben dem typischen Nachlassen der Volatilität im April auch die Reaktion der Märkte auf die anhaltende Verbesserung der Wirtschafts- und Ertragslage.
Der Faktor, der nach Ansicht der Invesco-Experten das typische saisonale Muster herbeiführen könnte, bei dem die Volatilität im Herbst ansteigt, wäre ein – angekündigter oder von den Märkten antizipierter – Wegfall der geldpolitischen Unterstützung durch die US-Notenbank (Fed). Von der jüngsten Sitzung des Offenmarktausschusses der Fed seien zwar keine diesbezüglichen Signale ausgegangen. Eine Bloomberg-Umfrage unter 49 Ökonomen habe jedoch ergeben, dass diese mehrheitlich noch in diesem Jahr mit einer „Tapering“-Ankündigung rechnen.
Für die Invesco-Strategen ist eine mögliche Rückführung der Assetkäufe der Fed kein Grund zur Sorge. „Tatsächlich würden wir uns mehr Sorgen machen, wenn es dazu in diesem Jahr nicht käme, weil dies signalisieren würde, dass entweder die Wirtschaft zu schwach ist oder die Fed zu weit hinter die Kurve zurückfällt“, sagt Jackson. „Wenn überhaupt, sehen wir das Risiko, dass die Fed zu langsam strafft und die Inflation dadurch über das hinaus steigt, was derzeit in den Märkten eingepreist ist.“
Jackson zufolge könnte die Rückführung der ultraexpansiven Geldpolitik zu einer gewissen Marktvolatilität führen – einem „milden Tantrum“, das kaum über den typischen saisonalen Anstieg der Volatilität hinausgehen dürfte und nicht vergleichbar wäre mit dem „Taper Tantrum“ von 2013, als eine entsprechende Ankündigung der Fed zu Schockwellen an den Finanzmärkten führte.
Die Invesco-Analysen signalisieren sogar, dass die Volatilität in Phasen einer Straffung der US-Geldpolitik zumeist niedrig ist, weil dies gewöhnlich Phasen einer starken wirtschaftlichen Entwicklung sind. Für ein negativeres Szenario müsste es ihrer Meinung nach entweder zu einem heftigen Abschwung kommen – zum Beispiel aufgrund problematischer Covid-19-Mutationen – oder zu einem starken Anstieg der Kerninflation, der die Märkte verschreckt.
„Damit uns diese Episode gemäß der Peak-End-Rule doch noch in schlechter Erinnerung bleibt, müsste sich die Coronakrise noch einmal dramatisch zuspitzen oder herausstellen, dass die großen Zentralbanken bereits einen gravierenden Fehler begangen haben“, meint Jackson. Die Invesco-Experten sind jedoch zuversichtlich, dass dieses Jahr ohne großes Drama enden wird, und halten daher auch an ihrer Präferenz für zyklische Anlagen fest. „Wenn wir davon ausgehen, dass die schlimmste Phase der Pandemie – zumindest in den Industrieländern – hinter uns liegt und wir den VIX Index als Maß des Angst- und Stressgrads der Finanzmärkte heranziehen, könnte sich das Ende der Pandemie aus Finanzmarktsicht schmerzfrei anfühlen“, so Jackson.