Als wäre das nicht genug, sorgt nunmehr auch noch die chinesische Grippeepidemie für Gegenwind. Im Reich der Mitte standen die Bänder zwischen Ende Januar und Mitte Februar nahezu komplett still oder wie es ein hoher Beamter ausdrückte: Jemand hat im ganzen Land den »Pause-Knopf« gedrückt. Dies hat spürbare Konsequenzen für die Weltwirtschaft. Schliesslich spielt China in den internationalen Wertschöpfungsketten eine entscheidende Rolle – vor allem bei Halbleitern, aber auch in der Autoindustrie. Schon kündigen erste Fahrzeughersteller Zwangsferien aufgrund mangelnder Lieferungen aus China an. Neben diesen angebotsseitigen Problemen fällt das Reich der Mitte aber auch als Nachfrager aus. Für weite Teile der Bevölkerung stellt aktuell bereits der Kauf von Nahrungsmitteln eine Herausforderung dar. Wer denkt da schon an ein neues Auto?
Angesichts des sich anbahnenden Rückschlags für die Weltwirtschaft scheint die aktuelle Euphorie an den Aktienmärkten irrational – allerdings nur auf den ersten Blick. Bei genauerem Hinsehen gibt es gute Gründe für die Zuversicht der Börsianer. Den künftigen Verlauf des Coronavirus kann zwar niemand exakt vorhersehen. Das wahrscheinlichste Szenario bleibt aber, dass die Grippewelle innerhalb der kommenden Wochen abebbt und damit ein Grossteil der Ausfälle in den nächsten Monaten kompensiert wird.
Darüber hinaus hat die Krise – aus Sicht der Investoren – ein Gutes: sie unterbindet jedwede Restriktion in der Makropolitik. Mehr noch, die weltweite Geld- und Fiskalpolitik wird noch expansiver. China und andere asiatische Volkswirtschaften haben bereits erste Liquiditätsspritzen und Zinssenkungen lanciert. Die Fed und die EZB halten sich zumindest alle Optionen offen. In Vorwegnahme möglicher zusätzlicher »Wohltaten« der Geldpolitik haben sich die Renditen und Risikoaufschläge weiter zurückgebildet – die Finanzierungskonditionen sind somit weltweit noch günstiger geworden. Gleichzeitig hat der Schock zu einem Rückschlag bei den Rohstoffpreisen geführt, was zu Kostenersparnissen bei Unternehmen und Verbrauchern führt.
Insgesamt hat sich ein ideales Umfeld für Aktien etabliert: Die Inflation ist niedrig, es drohen keine steigenden Zinsen und die Weltwirtschaft dürfte wieder auf die Füsse kommen und ab dem 2. Quartal 2020 dynamischer expandieren als im vergangenen Jahr. Dies sollte ausreichen, um die Unternehmensgewinne 2020 zu stabilisieren, und damit die Investoren erneut mit einem Dividendenreigen zu beglücken.
Natürlich bleiben Risiken. Die Quarantänemassnahmen in China könnten doch länger anhalten als gedacht und damit die Lieferengpässe in Europa, den USA und Japan verschärfen. Auch die Pandemiegefahr ist noch nicht völlig gebannt. In der Folge wären weltweit Abschottungsmassnahmen erforderlich. All dies könnte neue Schockwellen an den Finanzmärkten auslösen. Unser Basisszenario bleibt jedoch, dass die Grippewelle früher oder später abklingt und sich somit im laufenden Jahr die übergeordnete Aktienhausse fortsetzt. Zwischenzeitliche Rückschläge an den Börsen dürften sich mithin im Nachhinein als Kaufgelegenheiten erweisen.
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, BANTLEON