Wie erwartet beschloss der EZB-Rat auf seiner Sitzung ein geldpolitisches Paket, um die negativen wirtschaftlichen Folgen der Coronavirus-Epidemie zu mindern. Neben der temporären Aufstockung des Anleihenkaufprogramms um 120 Mrd. EUR wurden die Konditionen des TLTRO III-Programms nachgebessert. Darüber hinaus wird es neue langfristige Refinanzierungsgeschäfte (LTROs) geben.
EZB bleibt hinter den Markterwartungen zurück
Mit der heutigen Ankündigung bleibt die EZB klar hinter den Markterwartungen zurück. Insbesondere der Verzicht auf eine weitere Senkung der Leitzinsen dürfte zu einigem Stirnrunzeln führen. So hatte der EZB-Rat bis zuletzt signalisiert, die Leitzinsen noch weiter zu senken, sollte er dies als notwendig ansehen (Easing Bias). Auch die heutige geldpolitische Stellungnahme enthält die entsprechende Passage: »Der EZB-Rat geht davon aus, dass die EZB-Leitzinsen so lange auf ihrem aktuellen oder einem niedrigeren Niveau bleiben werden, bis […] sich die Inflationsaussichten […] einem Niveau annähern, das hinreichend nahe, aber unter 2% liegt […].«
Mit der Aufstockung des Anleihenkaufprogramms um rechnerisch lediglich 12 Mrd. bis 13 Mrd. EUR pro Monat bis Ende dieses Jahres erfüllten die Währungshüter ebenfalls nicht die Erwartungen der meisten Marktteilnehmer.
Das Überraschungsmoment, das Mario Draghi in seiner Amtszeit des Öfteren mit seinen Ankündigungen erzielte, fehlte dieser EZB-Sitzung somit völlig.
Die beschlossenen Massnahmen im Einzelnen
Die neuen LTROs werden zu einem Fixzins (Einlagensatz) bei voller Zuteilung durchgeführt und sollen in erster Linie ausreichend Liquidität für das Bankensystem der Eurozone sicherstellen. Wobei die EZB selbst sagt, dass sie derzeit keine Hinweise auf Stress im Bankensystem hat.
Die verbesserten Konditionen für die TLTRO III werden für die Tranchen im Zeitraum Juni 2020 bis Juni 2021 gelten. Der maximale Zinssatz für die Aufnahme von Notenbankgeld wird dann dem Hauptrefinanzierungssatz abzüglich 25 Bp entsprechen (derzeit -0,25%) und kann bei einer Ausweitung der Kreditvergabe bis auf den Einlagensatz abzüglich 25 Bp sinken (derzeit -0,75%).
Das Anleihenkaufprogramm wird bis zum Jahresende um 120 Mrd. EUR erhöht. Die zusätzlichen Käufe sollen auf Anleihen aus dem Privatsektor konzentriert werden. Gemäss EZB-Präsidentin Lagarde wird bei den zusätzlichen Käufen die maximale Flexibilität des Programms genutzt. So ist beispielsweise eine temporäre Abweichung vom Kapitalschlüssel bei den Staatsanleihenkäufen möglich. Auch dürfte der Schwerpunkt der zusätzlichen Käufe vor allem zeitnah gesetzt werden. Das monatlich erworbene Anleihenvolumen könnte daher in den nächsten Monaten von 20 Mrd. EUR auf 40 Mrd. bis 60 Mrd. EUR steigen.
Notenbank scheint Krise zu unterschätzen
Die heute getroffenen Massnahmen hinterlassen den Eindruck, dass die EZB das wirtschaftliche Ausmass der Corona-Epidemie auf die Eurozone unterschätzt. Hierzu passen auch die neuen BIP-Projektionen, die für das laufende Jahr noch einen Anstieg von 0,8% unterstellen. Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Wirtschaft der Eurozone 2020 schrumpfen wird. Auch der Auftritt von Christine Lagarde fiel eher unglücklich aus. Sie wirkte während der Pressekonferenz zögerlich und zaudernd. Einerseits mahnte sie mehrfach und eindringlich eine ambitionierte und koordinierte Reaktion der Fiskalpolitik an, gleichzeitig erklärte sie aber, die Leitzinsen seien noch sehr weit von einem Niveau entfernt, ab dem sie eher schädlich denn nützlich auf die Wirtschaft wirken würden. Der EZB-Rat sei daher willens, die Zinsen weiter zu senken, wenn dies nötig wäre. »Wann dann, wenn nicht jetzt?« wollte man den Ratsmitgliedern zurufen.
Weitere Massnahmen wahrscheinlich
Auch wenn wir die Einschätzung der EZB-Präsidentin teilen und eine koordinierte und kraftvolle Reaktion der Fiskalpolitik als absolut notwendig ansehen, um die Folgen des aktuellen Schocks abzufedern, so halten wir die heute von den Währungshütern beschlossenen Massnahmen nicht für das letzte Wort. Der EZB-Rat dürfte in den nächsten Wochen von dem zu erwartenden Absturz wichtiger konjunktureller Frühindikatoren sowie »harter« Daten überrascht werden. Insbesondere die Aussage, bei den Zinsen sei noch viel Luft nach unten, spricht unserer Meinung nach für eine weitere Runde an geldpolitischen Massnahmen. Dabei könnten abgesehen von Zinssenkungen auch gänzlich neue Instrumente zum Einsatz kommen. So gab es innerhalb des EZB-Rats schon in den letzten Monaten Überlegungen, die Assetkäufe beispielsweise auf Aktien-ETFs auszuweiten, ähnlich der Bank of Japan. Auch der Kauf von Bankanleihen oder die Neuauflage des Securities Markets Programme (SMP) wäre denkbar. Je nach Heftigkeit des Konjunktureinbruchs könnten weitere Schritte eventuell schon vor der nächsten planmässigen Zinssitzung des EZB-Rats am 30. April beschlossen werden.
Jörg Angelé, Senior Analyst Economic Research, Bantleon