Für die November-Sitzung des geldpolitischen Komitees der Bank of England waren aufgrund der stark gestiegenen Inflationserwartungen sowie der falkenhaften Kommentare einiger Mitglieder eine vorzeitige Beendigung der Anleihenkäufe und sogar ein erster Zinsschritt erwartet worden. Die Terminmärkte implizierten bis Ende 2022 Zinserhöhungen von mehr als 1,0%, doch die Notenbank kam diesen Erwartungen nicht nach und beließ vorerst alles beim Alten. Während sowohl die Kurse von Gilts als auch die Inflationserwartungen gemessen an den Breakeven-Renditen wieder stark stiegen, kam das britische Pfund gegenüber den Hauptwährungen unter Druck.
Höhere Inflation nur vorübergehend?
Für die schwache Entwicklung der Währung gibt es mehrere Gründe. So revidierte die Notenbank gegenüber ihrer jüngsten Prognose den Inflationsausblick deutlich nach oben: Die Jahresveränderungsrate der Konsumentenpreise wird im November auf 4,5% steigen, dann jedoch nicht wie in der Eurozone zu Beginn des nächsten Jahres zurückfallen. Den Hochpunkt erwartet die Bank of England im April 2022 mit 5,0%. Bis zum Ende des Prognosezeitraums in zwei Jahren wird die Inflation gemäß offiziellem Protokoll jedoch wieder auf 2,0% zurückfallen. Neben gestiegenen Energiepreisen nennt die Notenbank als Begründung für den Teuerungsschub Probleme bei den Lieferketten. Zusätzlich steigen aufgrund des Brexits bei den weniger qualifizierten Tätigkeiten die Löhne stark. Die Bank of England folgt damit der allgemeinen Geschichte eines vorübergehenden Überschießens, erkennt aber gleichzeitig an, dass die Risiken bestenfalls ausgeglichen sind und in den nächsten Monaten zum Erreichen des mittelfristigen Inflationsziels eine Zinserhöhung in ihrem Basisszenario angebracht ist.
Bank of England geht von tieferem Wachstum aus
Ausschlaggebend dafür, am Leitzins von 0,1% und dem Anleihenkaufprogramm von 895 Milliarden Pfund festzuhalten, ist neben der Unsicherheit über den weiteren Verlauf der Corona-Krise das schwächere BIP-Wachstum in Großbritannien, das die Notenbank für das aktuelle Jahr nur noch auf 6,7% veranschlagt. Im August ging sie noch von 8,5% aus. Die Industrie wurde durch den Mangel an Vorgütern und qualifizierten Arbeitskräften sowie die hohen Energiekosten gebremst. Im Einzelhandel fielen die Umsätze im September zum fünften Mal in Folge und auch das Verbrauchervertrauen schwächte sich in den vergangenen Wochen ab. Ende September lief überdies das coronabedingte Kurzarbeitergeld aus, was die Unsicherheit zusätzlich erhöhte, da unbekannt ist, wie viele der 1,4 Millionen Arbeitnehmer (das entspricht 5,5% aller Stellen im Privatsektor) in ihren Beruf zurückkehren können oder entlassen werden. Das Vorkrisenniveau wird die Wirtschaft wohl im 1. Quartal nächsten Jahres und damit später als in der Eurozone erreichen. Schwerer wiegt jedoch, dass die Bank of England die Wachstumsprognose für den Zeitraum 2022 bis 2024 um insgesamt 1%-Punkt gesenkt hat.
Vor diesem Hintergrund ist wenig verwunderlich, dass auf der Insel mittlerweile das Stagflationsszenario herumgeistert. Wie groß die Unsicherheit in der britischen Industrie ist, zeigt auch die Zurückhaltung bei den Ausrüstungsinvestitionen, die immer noch nicht das Niveau von vor dem Brexit erreicht haben. Und das trotz der Möglichkeit für die Unternehmen, seit April 2021 für jedes investierte Pfund ihre Steuerrechnung um 25 Pence kürzen zu können. Da diese Abzugsmöglichkeit noch bis Ende März 2023 gilt, dürften die Unternehmen aber davon reichlich Gebrauch machen.
Leitzinsanhebung dürfte auf sich warten lassen
Viele Gründe, die aktuell gegen eine Investition in das britische Pfund sprechen, gelten in abgeschwächter Form auch für den Euro. Allerdings hat sich das Wirtschaftswachstum der Eurozone im Sommer nicht verlangsamt, sondern steuert wegen eines äußerst soliden 3. Quartals auf eine Jahresrate von 5,0% zu. Im kommenden Jahr ist von einem Zuwachs in ähnlicher Größenordnung auszugehen. Mit einer BIP-Prognose von 5,0% der Bank of England für das Jahr 2022 liegen somit beide Währungsräume auf Augenhöhe, sodass sich hieraus momentan keine Impulse für den Wechselkurs ableiten lassen.
Der Wert des britischen Pfunds ist seit Jahresbeginn um mehr als 5% gegenüber dem Euro gestiegen (Stand: 12. November 2021) und hat zwischenzeitlich mit einem Niveau von 0,84 EUR/GBP auch fast unser Ziel erreicht, das wir Mitte Juni genannt hatten. In den vergangenen Wochen wurde das britische Pfund zusehends von der Erwartung einer drastischen Leitzinserhöhung der Bank of England getragen. Angesichts der wirtschaftlichen Risiken sowie des Strukturwandels und der politischen Risiken der Post-Brexit-Zeit wird sich die geldpolitische Straffung jedoch nicht in dieser Geschwindigkeit vollziehen. Entsprechend sollten Anleger die Währung neutral gewichten. Wer bereits investiert ist, sollte zumindest den Anteil nicht aufstocken.
Tobias Frei, Senior Portfolio Manager, Bantleon