Kleine Länder überraschen nach oben
Der leichte Rückgang in der Teuerungsrate der Eurozone, den wir und der Konsensus für Juli erwartet hatten, blieb am Ende aus. Die Headline-Inflationsrate der Währungsunion verharrte vielmehr unverändert bei 2,0%. Gleiches gilt für die Kerninflationsrate (ohne Energie, Nahrungs- und Genussmittel), die bei 2,3% ebenfalls konstant blieb. Betrachtet man die zweite Nachkommabestellung, ist die Headline-Rate sogar geringfügig von 1,99% auf 2,02% angestiegen. Bei der Kernrate gab es einen minimalen Rückgang von 2,31% auf 2,29%.
Das Ergebnis hatte sich mit den Zahlen aus Österreich am heutigen Vormittag bereits abgezeichnet – dort machte die Teuerungsrate einen Satz von 3,2% auf 3,6%. Es war nicht das einzige kleine Euroland, das unerwartet deutliche Inflationsanstiege bekannt gab – auch Griechenland (3,7% nach 3,6%), Slowenien (2,9% nach 2,5), Kroatien (4,5% nach 4,4%), Litauen (3,5% nach 3,2%) und Estland (5,6% nach 5,2%) stießen in dieses Horn. Portugal (2,5% nach 2,1%) und Spanien (2,7% nach 2,3%) hatten bereits in den Tagen zuvor einen Sprung nach oben gemeldet. Von einem generellen Disinflationstrend in der Währungsunion kann somit keine Rede sein. In manchen Ländern erreichte die Teuerung vielmehr im Juli einen mehrmonatigen oder sogar mehrjährigen Höchststand.
Einen Gegenpol dazu liefert Frankreich, dessen Inflationsrate sich mit 0,9% zuletzt auf sehr tiefem Niveau bewegte. Dies ist aber keine endogene Entwicklung, sondern lag vor allem an einer staatlichen Strompreissenkung im Februar dieses Jahres (-15%). Deutschland befindet sich mit 1,8% (nach 2,0% im Juni) nach längerer Zeit ebenfalls wieder erkennbar unter dem Durchschnitt der Eurozone, was unter anderem an der zuletzt rückläufigen Jahresrate der Dienstleistungspreise lag.
Betrachtet man die Komponenten auf der Ebene der Eurozone (vgl. nachfolgende Abbildung), so hat sich dieses Mal bei den Energiepreisen nicht viel getan. Sie legten um 1,0% (im Vormonatsvergleich) zu, was in etwa dem Vorjahreswert entsprach. Erfreulich ist überdies, dass die Dienstleistungspreise nicht nur in Deutschland, sondern in der gesamten Währungsunion ihren seit dem Frühjahr bestehenden Abwärtstrend fortgesetzt haben. Die Jahresrate sank von 3,3% auf 3,1% und erreichte damit den tiefsten Stand seit Anfang 2022, was in Einklang mit unseren Erwartungen stand. Etwas stärker als gedacht kamen dagegen die Nahrungsmittelpreise. Inklusive Tabak und Alkohol stieg die Jahresrate hier von 3,1% auf 3,3%. Von dieser Komponente geht damit inzwischen der stärkste Inflationsdruck aus.
Die eigentliche negative Überraschung lieferten jedoch die Preise von Industriegütern, deren Jahresrate von 0,5% auf 0,8% anzog und damit aus der jüngsten Seitwärtsrange ausbrach. Dies gab letztendlich auch den Ausschlag dafür, dass die Teuerungsrate der Eurozone im Juli keinen Rückgang verzeichnete.
Einschätzung und Ausblick
Die Entwicklung bei Industriegütern ist umso enttäuschender, als sich gerade bei Bekleidung, Möbeln, Elektrogeräten oder Autos die jüngste Euro-Aufwertung preisdämpfend hätte bemerkbar machen können. Stattdessen fielen offensichtlich insbesondere bei Bekleidung die saisonüblichen Sommerrabatte kleiner aus als üblich. Darin sehen wir allerdings keinen neuen Trend, sondern eher einen einmaligen Ausrutscher.
Wir gehen daher davon aus, dass die Teuerung bei Industriegütern in den nächsten Monaten wieder in die alte Seitwärtsrange zurückkehrt. Dafür spricht unter anderem auch die Entwicklung des Global Supply Chain Pressure Index der Federal Reserve Bank of New York (vgl. nachfolgende Abbildung). Er misst den globalen Angebotsdruck für den Industrie- und Transportsektor (z.B. über internationale Frachtpreise). Zuletzt pendelte er um die Nulllinie und zeigte damit weder Inflations- noch Disinflationsdruck an.
Die Abwärtsbewegung bei der Jahresrate der Dienstleistungspreise wird derzeit unter anderem von dem nachlassenden Teuerungsdruck bei Pauschalreisen vorangetrieben (vgl. nachfolgende Abbildung). Hier dürfte die Preissteigerungsrate im Juli sogar auf null gefallen sein. Anders als bei Industriegütern könnte in diesem Bereich die Euro-Aufwertung bereits eine Rolle gespielt haben, den Reisen außerhalb der Eurozone werden tendenziell billiger.
Mit Blick nach vorne spricht vor allem der spürbar nachlassende Lohndruck für einen weiter rückläufigen Teuerungsdruck bei Dienstleistungen. Allerdings geht aus Umfragen hervor, dass die Preiserwartungen zuletzt nicht weiter nachgegeben haben (vgl. nachfolgende Abbildung).
Alles in allem bleibt die Bewegung der Kerninflationsrate in Richtung 2,0% ein zäher Prozess. In den kommenden Monaten rechnen wir in dieser Hinsicht – auch wegen ungünstiger Basiseffekte ab September – mit keinem durchgreifenden Fortschritt. Vielmehr sollte sich die Kernrate bis zum Jahresende bei 2,2% bis 2,3% seitwärts bewegen. Mit Blick auf die Headline-Rate sehen wir es ähnlich. Ungünstige Basiseffekte bei den Energiepreisen – sie sind im August/September 2024 gefallen – sorgen kurzfristig sogar für gewissen Aufwärtsdruck. Ende 2025 sehen wir die Headline-Teuerungsrate daher bei 2,1%.
Mit diesem Ausblick sind wir weniger optimistisch als die EZB. Sie prognostiziert für das 4. Quartal 2025 eine Teuerungsrate von 1,8% (vgl. nachfolgende Abbildung). Aus unserer Sicht dürften die Inflationszahlen demzufolge in den nächsten Wochen keine zusätzlichen Argumente für eine Leitzinssenkung liefern. Nicht auszuschließen ist natürlich, dass der Euro nochmals kräftig anzieht oder der Ölpreis einen Schwächeanfall erleidet. Davon gehen wir in unserem Basisszenario aber nicht aus und erwarten entsprechend in diesem Jahr keine Zinssenkung der EZB mehr.
Von Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon AG
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