Notenbankrhetorik und Markterwartungen entwickeln sich immer weiter auseinander. Die Falken in Fed und EZB sprechen von „Kurs halten“, aber die Märkte rechnen mit einer „Wende“.
Schon lange glauben wir, dass die Notenbanken am Ende recht behalten. Inflation und hohe Leitzinsen werden uns länger begleiten, als man am Markt erwartet, selbst bei einer schwächeren Konjunktur.
Als sich Fed, EZB und Bank of England letzte Woche zur künftigen Geldpolitik äußerten, sahen sich die Märkte bestätigt. Aber wir teilen ihren ungebrochenen Optimismus nicht.
Lesen Sie, warum.
„Die Disinflation hat begonnen“
Die Bank of England hat ihren Leitzins um 50 Basispunkte erhöht, aber auch ein mögliches Ende der Straffung signalisiert. Die Tauben schienen Oberwasser zu haben, auch wenn die Ankündigung angesichts der schwachen britischen Wirtschaft nicht ganz überraschend kam.
Die EZB war wegen der anhaltenden Inflation strenger. Sie erhöhte ihren Leitzins um 50 Basispunkte und versprach, „Kurs zu halten“. Auch im März soll der Leitzins um 50 Basispunkte steigen. Zugleich wurde ein Quantitative Tightening angekündigt. Die Falken führten das Wort, aber auch das kam nicht überraschend: Euro und Anleiherenditen gaben nach.
Wirklich etwas bewirkt hatte aber einen Tag zuvor die Fed – oder genauer, Notenbankchef Powell mit seinen Äußerungen vor der Presse.
Wie erwartet wurde die Federal Funds Rate nur noch um 25 Basispunkte angehoben, aber zugleich signalisierte man weitere Zinserhöhungen. Dem Markt gefiel das erst gar nicht. Doch als Powell sein Statement beendet hatte, waren der S&P 500 um 2% gestiegen und die Zweijahresrendite um 15 Basispunkte gefallen.
Powell hatte gesagt, dass ein „disinflationärer Prozess“ begonnen habe. Das 2%-Ziel sei „auch ohne einen deutlichen Anstieg der Arbeitslosigkeit“ erreichbar. Nach den einschlägigen Indizes sind die Finanzbedingungen zwar so locker wie seit letztem April nicht mehr, doch seien „kurzfristige Schwankungen“ für die Geldpolitik nicht wichtig. Die Finanzbedingungen seien letztes Jahr „wesentlich straffer“ geworden. Außerdem mache es ihm „keine allzu großen Sorgen“, dass sich Notenbankrhetorik und Markterwartungen immer weiter auseinanderentwickeln. Uneins sei man sich lediglich über die Inflationsentwicklung, aber nicht über die Reaktionsfunktion der Fed.
Drohende Stagflation
Unserer Ansicht nach hat die überaus optimistische Marktreaktion zum einen technische Gründe. Die Eindeckung von Short-Positionen – Short Covering – führt ebenso zu Volatilität wie der Einstieg bislang inaktiver Investoren. Eine wesentliche Rolle dürfte aber auch der Confirmation Bias spielen, der Bestätigungsfehler: Die Anleger hören das, was sie hören wollen. Powells Worte scheinen sie als Bestätigung ihrer eigenen Sichtweise zu deuten. Eigentlich sagte der Notenbankchef nämlich etwas anderes: „Sie könnten recht haben. Hoffen wir es, aber gehen wir nicht davon aus."
In den letzten CIO Weekly Perspectives schrieb Joe Amato über die schwachen Frühindikatoren, und Brad Tank warnte vor einer hartnäckigen Dienstleistungsinflation (ohne Wohnkosten).
Powell sieht es ähnlich. Die Güterpreisinflation lasse nach, und auch die Wohnkosteninflation könne bald zurückgehen, meinte er. Bei den übrigen Dienstleistungen sei es aber noch nicht so weit. Zwar seien weder ein „wirklich starker Abschwung“ und eine hohe Arbeitslosigkeit nötig, um die Inflation zum Zielwert zurückzuführen, aber Arbeitskräfte blieben „äußerst knapp“. Der Arbeitsmarkt sei noch immer „aus dem Gleichgewicht“.
Um das Stagflationsrisiko und das Dilemma der Fed zu verdeutlichen, hätte er sogar auf Daten vom selben Tag verweisen können.
Der jüngste ISM-Einkaufsmanagerindex (PMI) für das amerikanische Verarbeitende Gewerbe signalisierte einen überraschend starken Anstieg der Erzeugerpreise, obwohl die Auftragseingänge so stark einbrachen wie sonst in einer Rezession. Und der Job Openings and Labor Turnover Survey (JOLTS) zeigte im Dezember ein Fünfmonatshoch der offenen Stellen an. Der Quotient aus offenen Stellen und Arbeitslosenzahl ist gestiegen, und es gab keinerlei Anzeichen für weniger Kündigungen durch Arbeitnehmer.
Auch der überraschende Arbeitsmarktbericht vom Freitag zeigt, wie groß der Personalmangel noch immer ist. Im Januar wurden in den USA außerhalb der Landwirtschaft eine halbe Million neuer Stellen geschaffen, obwohl Volkswirte mit gerade einmal 190.000 gerechnet hatten. Die Arbeitslosenquote fiel trotz steigender Erwerbspersonenzahl, und die Löhne legten erneut ordentlich zu. Auch der ISM-Dienstleistungsindex machte am Freitag einen Sprung nach oben und zeigt jetzt wieder eine Expansion an.
Straffere Geldpolitik
Die Daten von Freitag nahmen den Optimisten etwas Wind aus den Segeln, sodass die Kurse wieder auf den Stand von vor der Pressekonferenz fielen.
Andererseits ist der Bitcoin seit Jahresbeginn wieder um über 40% gestiegen, und der Goldman Sachs Non-Profitable Technology Index hat um gut 20% zugelegt. Der Stoxx Europe 600 Index hat über 7% gewonnen, der Russell 2000 Index fast 14%. Der S&P 500 Index liegt mit gerade einmal 9% dahinter, und auch der Bloomberg Global Aggregate Index verzeichnete seit Jahresbeginn nur gut 4% Ertrag.
Die derzeitige Marktentwicklung passt nicht wirklich zu unserem aktuellen Fundamentalausblick. In Multi-Asset-Portfolios bevorzugen wir weiterhin Anleihen gegenüber Aktien, und im Aktienbereich halten wir Substanzwerte, Qualitätstitel und dividendenstarke Aktien für aussichtsreicher als Wachstumstitel. Wir bleiben also defensiv. Für die Emerging Markets sind wir seit Jahresbeginn zwar optimistischer geworden – wegen des Neustarts in China und des schwächeren US-Dollar. Aber auch das ist für die Industrieländer ein weiteres Inflationsrisiko.
Wir bleiben unserer Positionierung treu, weil wir glauben, dass Investoren die Notenbanken ernst nehmen sollten, wenn sie einen Kampf gegen die Inflation ankündigen. Was sie sonst noch sagen, sollte man nicht überbewerten.
Robert Dishner, ein Kollege aus dem Anleihenteam, deutet Powells mildere Äußerungen folgendermaßen: Der Notenbankchef fürchtet jetzt zwar weniger, dass der Sieg über die Inflation eine starke Rezession erfordert. Zugleich ist ihm aber bewusst, dass seine schwierige Aufgabe keineswegs erledigt ist. Powell gehe davon aus, dass die Zinsen noch länger hoch bleiben müssen, als man am Markt erwartet.
Vielleicht haben die Risiken etwas nachgelassen, aber die Konjunkturdaten sprechen wohl noch immer dafür, dass vieles möglich ist. Nach wie vor signalisieren sie eher eine straffere Geldpolitik und Verluste risikoreicherer Titel.
Von Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, Neuberger Berman
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