Vor fünf Monaten schrieben wir, dass wir uns „am Scheideweg“ befänden.
Das neue Zeitalter der Deglobalisierung, die wachsende Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer und die neue Geld- und Fiskalpolitik hätten einen strukturellen Inflations- und Zinsanstieg sowie kürzere und volatilere Konjunkturzyklen zur Folge. Anleger bräuchten ein neues Drehbuch.
Gerade sind wir von einer mehrwöchigen Roadshow mit zahlreichen Kundengesprächen zurückgekommen. Wir waren in Nordamerika und Europa, im Nahen Osten und in Asien. Wir trafen die Verantwortlichen für mehrere Billionen US-Dollar Vermögen.
Wie sehen sie die Lage? Als stünden sie am Scheideweg. Vieles scheint denkbar, und die Unsicherheit ist groß. Jetzt müssen sie abschätzen, was die besten Optionen sind.
Niedrigeres Risiko, ähnlicher Ertrag
Zu Beginn unserer Gespräche ging es meist um Anleihen. Was soll man bei Renditen tun, die Menschen unter 40 Jahren noch nie erlebt haben? Die Form der Zinsstrukturkurve ist sogar für alle unter 60-Jährigen neu. In den USA ist sie heute so invers wie zuletzt 1981. Die Federal Funds Rate ist etwa so hoch wie die Durchschnittsrendite des Bloomberg U.S. Aggregate Index, des amerikanischen Investmentgrade-Index. Und im Nahen Osten kann man mit Geldmarktanlagen über 6% verdienen.
Viele Investoren sehen darin die Chance, mit geringeren Risiken ähnliche Erträge zu erzielen wie bisher. Sie schichten daher um, von Aktien in High Yield, von High Yield in Investmentgrade-Anleihen, von Investmentgrade-Anleihen aller Laufzeiten in Kurzläufer, von Kurzläufern in geldmarktnahe Anlagen.
Solche Idee hatten viele. Nicht wenige Anleger interessieren sich plötzlich für scheinbar einfachere, unproblematischere Assetklassen. Renditen und Spreads sind unter diesem Ansturm schon gefallen.
Das hatte interessante Folgen: Mit „schwierigeren“ Anlagen kann man noch immer verdienen. Wer die Augen offen hält und in Marktnischen und weniger liquide Anleihen investiert, kann sich über höhere Renditen und Liquiditätsprämien freuen. Hier ist es unwahrscheinlicher als an liquideren Märkten, dass kurzfristige Investoren höheren Renditen hinterherjagen.
Bei höheren Renditen wird mehr in Anleihen investiert. Wegen der inversen Zinsstrukturkurven und der Rezessionssorgen schichten viele Anleger in Kurzläufer um, und wegen der schnellen Spread- und Kursänderungen investieren sie taktischer. Weil außerdem weniger liquide Titel mehr Aufmerksamkeit erhalten, bemühen sich Investoren um eine bessere Abstimmung zwischen ihren börsennotierten und nicht börsennotierten Anlagen.
Aktien vertretbarmachen
Und was ist mit Aktien?
Wir können uns an keinen Investor erinnern, der auf Sicht von zwölf Monaten optimistisch für klassische kapitalisierungsgewichtete Marktindizes war.
Wir rechnen mit einer hartnäckigen Inflation, die von den Notenbanken energisch bekämpft wird. Die Aktienbewertungen könnten daher weiter fallen und die Unternehmensgewinne unter den verzögerten Wirkungen einer strafferen Geldpolitik leiden.
Daher liegt die Gewinnrendite des S&P 500 Index zurzeit unter dem erwarteten Leitzinsmaximum.
Der Pessimismus der Kunden hat uns nicht überrascht – wenn überhaupt, hat er uns darin bestätigt, dass die Aktienrallye seit Oktober keine wirkliche Basis hat. Und doch verzichten nur wenige Investoren ganz auf Aktien.
Auch hier suchen sie Orientierung. Was kann man aus Aktien in diesem Umfeld machen? Wir sprachen über ein Thema, das uns schon länger beschäftigt, auch in einer aktuellen Studie: Umschichtungen aus den Gewinnern der letzten zehn Jahre – Wachstumswerte wie amerikanische Mega Caps und spekulative Titel mit langer Duration – in nicht amerikanische Aktien, Small Caps sowie Qualitäts- und Substanzwerte. Außerdem sprachen wir über höhere Ertragschancen ohne zusätzliche Verlustrisiken und sogar über Optionsstrategien, die von einer höheren Volatilität profitieren.
Es gibt einen Plan
Ein wichtiges Thema war auch, ob die alten Entscheidungsprozesse noch funktionieren. Sind Modelle mit einer 20-jährigen Datenhistorie noch sinnvoll, wenn die Zeiten so sind wie seit 30 oder 40 Jahren nicht mehr?
Vor allem nicht börsennotierte Anlagen machen hier Sorgen. Besonders engagiert wurde diskutiert, wie man Modelle durch subjektivere Parameter an das neue Umfeld anpassen kann – und wie viel einfacher das ist, wenn man seit 35 Jahren in Private Capital investiert und über eine entsprechend lange Datenhistorie verfügt.
Sorgen macht aber nicht nur der Ausblick für die Portfoliounternehmen. Viele Investoren scheinen die jüngsten Private-Equity-Jahrgänge gedanklich abgeschrieben zu haben. Jetzt überlegen sie, was sie angesichts höherer Fremdkapitalkosten und illiquiderer Börsen tun können, zumal viele Investoren ihre Private-Capital-Quote nicht noch weiter steigern können. Ähnlich wie an den Börsen sehen viele Investoren, mit denen wir sprachen, auch hier die Chance auf Mehrertrag durch komplexere Anlagen und Investitionen in Bereichen mit Kapitalmangel.
Die Roadshow hat Spaß gemacht. Es hat gutgetan, die Kunden wieder persönlich zu treffen, oft zum ersten Mal nach Jahren der Zoom-Meetings. Für die Beziehungen zwischen Asseteigentümern und Assetmanagern waren Gespräche immer wichtig, aber heute sind sie vielleicht wichtiger denn je. Wir haben erfahren, wie schwierig es sein kann, an einem Scheideweg zu stehen. Doch es gibt einen Plan: Jeder von uns kennt Teile davon – je nach Erfahrung, Spezialisierung und Kompetenz. Um alle Einzelheiten zu erfahren, müssen wir im Gespräch bleiben.
Erik Knutzen, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class & Niall O’Sullivan, Chief Investment Officer – Multi-Asset Class, EMEA, Neuberger Berman