Heute wählen die US-Amerikaner ihren neuen Präsidenten. Ganz egal, ob sich Trump oder Harris letztendlich durchsetzen: Der Gewinner dürfte einen nachhaltigen Einfluss auf die US-Wirtschaft haben. Insbesondere, da die Vorstellungen der Kandidaten erheblich voneinander abweichen. Ein gutes Beispiel ist die Steuerpolitik. Unternehmer werden hier besonders auf die Pläne zur Körperschaftsteuer schauen – dabei lohnt sich jedoch auch ein Blick auf die verschiedenen Einkommensteuerkonzepte. Immerhin haben diese einen erheblichen Einfluss auf die amerikanischen Verbraucher und damit auf die Inlandsnachfrage.
Trump hat angekündigt, dass er die 2017 verabschiedeten Einkommensteuersenkungen verlängern möchte. Ursprünglich sollten diese Ende 2025 auslaufen, was de facto eine große Steuererhöhung für alle Amerikaner bedeuten würde. 2017 wurden die Pauschalbeträge für alle erhöht, der Spitzensteuersatz gesenkt, die Kinderfreibeträge angehoben und die Erbschaftsteuern verringert. Vizepräsidentin Kamala Harris hat sich hierzu nicht klar geäußert. Die Biden-Administration hat aber schon früher vorgeschlagen, die Steuersenkungen von 2017 größtenteils zu verlängern – allerdings nur für Menschen mit Jahreseinkommen bis 400.000 US-Dollar. Harris sprach auch über höhere Steuerfreibeträge für Hauskäufe. Der vielleicht auffälligste Unterschied zwischen den beiden Kandidaten ist aber Harris’ Vorschlag einer „Mindeststeuer für Milliardäre“.
Steuerpolitik entscheidend für Gewinnerwartung des S&P 500
Auch bei den Körperschaftsteuern sind die Unterschiede erheblich. So möchte Harris den Körperschaftsteuersatz von 21 auf 28 Prozent anheben. Trump will ihn hingegen auf 15 Prozent senken, zumindest für Unternehmen, die in den USA produzieren. Derart große Steuersenkungen oder -erhöhungen sind nicht zu unterschätzen. Eine Änderung des Körperschaftsteuersatzes um einen Prozentpunkt könnte die Gewinne der S&P-500-Unternehmen um knapp ein Prozent steigen oder fallen lassen. Bei 5 Prozentpunkten würden die S&P-500-Gewinne unter gleichen Bedingungen 2025 anders als bisher angenommen nicht um 15, sondern um 10 bzw. 20 Prozent steigen.
Trumps Zölle verzögern Inflationsrückgang
Große Unterschiede gibt es auch beim Thema Außenhandel. Hier kann die Regierung vieles selbst entscheiden, ohne dass der Kongress zustimmen muss. Harris dürfte Bidens Ansatz weitgehend treu bleiben, der vor allem auf Chinas wachsende Bedeutung für die internationalen Lieferketten abzielt. Von einigen Beschränkungen für bestimmte Technologien und Sektoren abgesehen, dürften die amerikanischen Verbündeten mit weniger Gegenwind rechnen als unter einem republikanischen Präsidenten.
Denn Trumps Ideen sind umfassender – und vor allem protektionistischer. So gibt es Pläne für einen 60-prozentigen Zoll auf alle Waren aus China und 10 Prozent auf alle anderen Importe. Beim Economic Club of Chicago verschärfte er seine Rhetorik vor allem beim Thema Automobilimporte. Unter Berufung auf die nationale Sicherheit hat der Präsident gewisse Möglichkeiten, ohne Zustimmung des Kongresses Zölle einzuführen. Bei Aluminium und Stahl hat Trump davon auch schon 2018 Gebrauch gemacht. Wahrscheinlich sind Trumps aggressivere Zollpläne aber wohl nur als Ausgangspunkt für Verhandlungen zu verstehen.
Volkswirte von Goldman Sachs schätzten, dass die Preise einschlägiger Güter allein aufgrund der von der Trump-Regierung eingeführten Zölle der Jahre 2018/2019 um über 3 Prozent gestiegen sind. Selbst ein nur 20-prozentiger Zoll auf Importe aus China würde den Inflationsrückgang auf 2 Prozent um eineinhalb Jahre verzögern. Ein genereller Zoll in Höhe von 10 Prozent würde nach aktuellen Prognosen die Inflation erneut in Richtung 3 Prozent treiben – mit einem Höchststand im Sommer 2026.
Geteilte Macht zügelt extreme Ideen der Wahlkampfrhetorik
Märkte fürchten Veränderungen, in welche Richtung auch immer. So oder so werden wir einen neuen Präsidenten bekommen. Wir halten es aber für unwahrscheinlich, dass die extremeren Ideen der beiden Kandidaten wirklich umgesetzt werden. Vermutlich wird es zu einer Machtteilung kommen, bei der die Demokraten das Repräsentantenhaus zurückgewinnen, aber den Senat an die Republikaner verlieren. Wer auch immer Präsident wird: Der Kongress dürfte sie oder ihn zügeln.
Keiner geht das Haushaltsdefizit ernsthaft an
Ein Fakt ist unterdessen bemerkenswert: Keiner der beiden Kandidaten zeigt ernsthafte Bemühungen, um die US-Staatsfinanzen solider aufzustellen. Die Bereitschaft, Verteidigungs- oder Sozialausgaben zu kürzen, scheint auf beiden Seiten gering. Obwohl das, neben den Zinsen, zwei der drei größten Posten im Bundeshaushalt sind. Passend zu dem Thema fand das Penn Wharton Budget Model zuletzt viel Beachtung. Nach dessen Schätzungen würden Harris’ Steuer- und Ausgabenpläne das Primärdefizit in den nächsten zehn Jahren kumuliert um 2 Billionen US-Dollar steigen lassen. Bei Trumps Plänen wären es gut 4 Billionen.
Volkswirte glauben, dass der Wahlausgang keine großen Auswirkungen auf die Entwicklung des Defizits in den nächsten fünf Jahren hat. Alles in allem käme es bei Harris zu einer defizitneutralen Umverteilung von Unternehmen und reicheren Steuerzahlern zu ärmeren Steuerzahlern. Bei Trump würde das Defizit geringfügig gesenkt, sofern die Zolleinnahmen das niedrigere Steueraufkommen ausgleichen. Aber auch hier gilt, dass die absehbare Machtteilung die Politik beider Kandidaten abmildern dürfte, mit leicht positiven Auswirkungen auf die Staatsfinanzen.
Was bedeutet das für Investoren?
Ganz allgemein liegt die Vermutung nahe, dass Trump die Wirtschaft etwas stärker wachsen lassen könnte, allerdings dürfte sich auch die Inflationsproblematik nochmal verschärfen. Bei Harris würde wohl beides niedriger ausfallen. Der jeweilige Umfang würde bei einer Machtteilung abgemildert. Für Investoren dürften bei einem Sieg Trumps insbesondere Small Caps, Mid Caps und stark regulierte Sektoren wie Energie, Elektrizität, Industrie und Finanzen profitieren. Für Anleiheinvestoren könnte aufgrund neuer Inflationssorgen dieses Szenario eher unschöne Folgen haben. Harris dürfte hingegen die derzeitige Politik fortsetzen. Anleger könnten dann die Gesamtwirtschaft wieder stärker in den Blick nehmen und der Aktienmarkt an Breite gewinnen.
Interessant dürfte auch die Zeit direkt nach den Wahlen bleiben – insbesondere aufgrund des Kopf-an-Kopf-Rennens der beiden Kandidaten. Wird das Wahlergebnis angefochten oder steht der Sieger erst mit Verzögerung fest, könnte die Volatilität steigen. Zum Vergleich: Nach der Wahl im Jahr 2000, als wir lange auf die Bestätigung von Bushs Sieg warten mussten, fiel der S&P 500 vom Wahltag bis Mitte Dezember um fast 12 Prozent – wobei aber auch andere Faktoren eine Rolle spielten. Aus der Vergangenheit wissen wir aber, dass die Märkte zu einer Erleichterungsrallye ansetzen, sobald das Ergebnis sicher ist. Das gilt unabhängig davon, wer gewinnt. So oder so: Die nächsten Wochen und vielleicht Monate könnten unruhig werden.
Von Joseph V. Amato, CIO bei Neuberger Berman