Im Film „Mr. Smith geht nach Washington“ versucht der idealistische Jefferson Smith, gespielt von James Stewart, mit einem knapp 25-stündigen Filibuster die Abstimmung über seinen unberechtigten Ausschluss zu verzögern. Ganz anders ergeht es der wirklichen US-Regierung unter einem ganz anderen Außenseiter. Donald Trump liefert sich einen Wettlauf mit der Zeit.
Schon in seiner ersten Amtszeit jagte eine Irritation die nächste, bis 2017 der Tax Cuts and Jobs Act (TCJA) die Portemonnaies der Wähler wieder füllte. Und natürlich haben die Republikaner bei den Zwischenwahlen das Repräsentantenhaus verloren.
Angesichts der ehrgeizigen Ziele der neuen Administration müssen Verbraucher und Unternehmen, wie Shannon Saccocia vor zwei Wochen schrieb, jetzt wohl mit noch mehr Unruhe leben – bis sie dann vielleicht irgendwann von der erhofften Verlängerung des TCJA und der Trump’schen Deregulierungspolitik profitieren.
Die Verunsicherung zeigt sich allmählich in den Umfragen, den Konjunkturdaten und an den Märkten. Die neue US-Administration hat vieles versprochen, das das Wachstum fördern soll. Aber ist ein höheres Wachstum nach den Irritationen der letzten Monate überhaupt noch realistisch?
Destruktives Chaos
Die Unruhe, die Trump stiftet, kann man kaum überschätzen. Bei ihm mischt sich der Ehrgeiz einer ersten Amtszeit mit der Erfahrung einer zweiten – eine seltene Kombination.
Die letzten zwei Wochen haben gezeigt, dass ihn die westliche Allianz und die seit dem Zweiten Weltkrieg etablierte Sicherheitsarchitektur kaum interessieren. Besonders gefährdet ist die amerikanische Soft Power, also Entwicklungshilfe und Entwicklungsfinanzierung.
Wenn die USA ihre traditionelle weltpolitische Rolle aufgeben und sich auf taktische Engagements beschränken, könnten sie vielleicht mit niedrigeren Verteidigungsausgaben und Entwicklungshilfebudgets auskommen. Zunächst einmal wird die Welt aber wesentlich unsicherer. Das Investitionsklima verschlechtert sich, und die Nachfrage nach vielen amerikanischen Gütern und Dienstleistungen lässt nach.
Die US-Zollpolitik mag langfristig reziprok sein und auf die Repatriierung von Industriearbeitsplätzen abzielen. Aber auch sie sorgt für erhebliche Unsicherheit. Die Rückverlagerung von Arbeitsplätzen und niedrigere Steuern würden das Wachstum in den USA natürlich fördern. Aber wenn das Mittel dazu höhere Zölle sein sollen, ist das – gelinde gesagt – unorthodox und für die Konjunktur kurzfristig schlecht. Außerdem wecken das Hin und Her bei den Zollankündigungen und die aus dem Ärmel geschüttelten Ausnahmeregelungen Zweifel an einem strategischen Plan. Das macht langfristige Investitionsentscheidungen äußerst schwierig.
Politische, weltpolitische und wirtschaftliche Unsicherheit
Hinzu kommen große Veränderungen in der Fiskalpolitik, etwa separate Haushaltsgesetze von Senat und Repräsentantenhaus, wobei der Präsident die vom Repräsentantenhaus vorgeschlagene Gesamtregelung in einem einzigen Gesetz bevorzugt. Der TCJA würde dann verlängert. Aber jetzt wird darüber diskutiert, ob die Verlängerung unbefristet sein kann. Dann würden die Steuereinnahmen in den nächsten zehn Jahren um schätzungsweise 4,5 Billionen US-Dollar fallen. Die langfristigen Haushaltsprojektionen waren noch davon ausgegangen, dass das Gesetz ausläuft und die Steuereinnahmen daher steigen.
Welcher Gesetzesvorschlag auch immer mehr Unterstützung findet und sich durchsetzt – der Staat muss weniger Geld ausgeben. Der Vorschlag des Repräsentantenhauses wurde aufgrund von Einwänden fiskalkonservativer Republikaner nur knapp verabschiedet, obwohl er verteilt auf zehn Jahre satte 2 Billionen US-Dollar Kürzungen vorsieht. Das neue Department of Government Efficiency (DOGE) versucht schon jetzt, Sparpotenziale zu finden. Viele halten 2 Billionen Dollar aber nur dann für ein realistisches Ziel, wenn Sozialprogramme (vor allem Social Security und Medicare) gekürzt werden, was naturgemäß politischen Schaden anrichtet. Wir gehen davon aus, dass Kürzungen von 1 Billion US-Dollar am Ende reichen, damit alle Republikaner zustimmen.
Für die Märkte ist es nicht leicht zu prognostizieren, was all dies für Wirtschaftswachstum, Inflation, Welthandel und Militärbündnisse bedeutet. Dennoch glauben wir, dass die wachstumsfreundlichen Elemente schließlich überwiegen. Noch immer meinen wir, dass die Administration einige Monate der politischen, weltpolitischen und wirtschaftlichen Unsicherheit aushalten kann. In den nächsten Jahren dürfte das Nominalwachstum dann steigen.
Die Macht der Geschichte
Vielleicht kann Trump die derzeitige Unsicherheit auch aushalten, weil er die Geschichte auf seiner Seite hat.
Wenn eine Regierung zu viel Geld ausgibt, bekommt sie irgendwann die Quittung. In den USA sieht man das daran, dass sich Privatwirtschaft und Staat etwa alle 20 Jahre bei der Führungsrolle abwechseln. Von 1945 bis Mitte der 60er-Jahre fielen die Staatsschulden, und die Privatwirtschaft boomte; im Vietnamkrieg stiegen die Staatsausgaben wieder, und die Wirtschaft bekam Probleme. Unter Reagan, Bush und Clinton, von 1980 bis 2000, legte sie dann wieder zu.
Vielleicht enden jetzt 20 Jahre hoher Staatsausgaben – durch den Kampf gegen den Terrorismus, die internationale Finanzkrise und Corona. Wenn die Privatwirtschaft jetzt wieder die Führung übernimmt, rechnen wir mit einem hochwillkommenen, nachhaltigen Wachstum.
Die Macht der Geschichte zeigt sich auch im Realismus der amerikanischen Verbündeten und Handelspartner. Letzte Woche haben sowohl die Rhetorik als auch die Ausgabenpläne Deutschlands und der Europäischen Kommission gezeigt, dass man die neue NATO-Sicherheitsarchitektur akzeptiert. Außerdem hält Trump die seit Chinas WTO-Beitritt 2001 geltenden Wirtschaftsbeziehungen zu den USA für Schnee von gestern. Chinas erneuter Fokus auf Demografie, Konsum und Innovationen spricht dafür, dass man es dort ähnlich sieht.
Die offizielle Antwort der Demokraten auf Trumps Kongressrede letzte Woche hat eine Hoffnungsträgerin des moderaten Parteiflügels vorgetragen, Senatorin Elissa Slotkin. Sie räumte ein, dass „Amerika Veränderungen will“, und deutete an, dass die Demokraten Initiativen wie Repatriierung von Industrie und Industriearbeitsplätzen durchaus unterstützen. Dabei bat sie lediglich um mehr „Rücksicht“.
Als Investoren müssen wir die Welt nehmen, wie sie ist: In den letzten sieben Wochen standen wir an einem Wendepunkt. Unsicherheit, Volatilität und Risiken sind hoch. Schon oft waren Wendepunkte zugleich große langfristige Chancen.
Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman