CIO Weekly | Das Ende der amerikanischen Ausnahmestellung?

Die übrige Welt holt gegenüber den USA etwas auf. Eine neue Weltwirtschaftsordnung sehen wir aber noch nicht. Neuberger Berman | 08.05.2025 11:22 Uhr
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman
Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman / © e-fundresearch.com / Neuberger Berman

In Trumps ersten 100 Tagen bin ich zu vielen Kundengesprächen gereist, auch nach Kanada. Oft wurde ich gefragt, ob die amerikanische Ausnahmestellung jetzt zu Ende geht.

Das ist eine wichtige Frage. Um sie zu beantworten, muss zunächst etwas anderes geklärt werden: Was macht diese Ausnahmestellung aus?

Wachstumslücke

Man könnte sie als ein recht neues Phänomen ansehen, als Folge des hohen Wirtschaftswachstums in den USA und der guten Performance amerikanischer Aktien seit Corona, vor allem gegenüber Europa und China.

Dann wäre die Antwort wohl ein Ja. Eine so definierte Ausnahmestellung geht irgendwann zu Ende, zumal in den USA mit weniger Wachstum und mehr Inflation gerechnet wird.

Ein Grund für den amerikanischen Wachstumsvorsprung seit der Pandemie waren sicherlich die zuletzt nicht mehr nachhaltigen Staatsausgaben. Sie ließen das US-Haushaltsdefizit auf über 6% steigen. Letzte Woche wurde bekannt, dass die amerikanische Wirtschaft im 1. Quartal 2025 annualisiert um etwa 0,3% geschrumpft ist. Beim BIP spielen die Nettoexporte eine wichtige Rolle. Sie waren im 1. Quartal deutlich negativ, weil viele Unternehmen vor Einführung höherer Zölle noch schnell Importgüter kauften. Höherer Konsum und der Lageraufbau glichen das aber aus. Am Ende sorgte der 0,25-prozentige Rückgang der Staatsausgaben für einen negativen Gesamtwert.

Viele Positiv- und Negativfaktoren also, aber unter dem Strich ein Minus: Kommt es im 2. Quartal ähnlich, befänden wir uns definitionsgemäß in der Rezession. Mehr Konsum heute könnte weniger Konsum morgen bedeuten. Zurzeit sprechen die harten Daten aber dafür, dass vor allem der Rückzug des Staates das Wachstum dämpft. Weniger Staat ist aber genau das Ziel der Trump’schen Politik, die das Wachstum des privaten Sektors stärken soll, auch durch verlängerte Steuersenkungen und eine lockerere Regulierung.

Die Konjunkturwende und die Verschiebungen vom öffentlichen zum privaten Sektor dürften kaum ohne Auf und Ab verlaufen, und Trumps unberechenbare Außenhandelspolitik macht es nicht besser. Dennoch glauben wir, dass die USA am Ende wieder langfristig und noch dazu nachhaltiger wachsen werden.

Die größte Wirtschaftsmacht der Welt

Die amerikanische Ausnahmestellung lässt sich aber auch grundsätzlicher definieren. Dazu hilft ein Blick auf die Geschichte: Erinnern wir uns daran, wie die USA zur größten Wirtschaftsmacht der Welt geworden sind.

Wesentlichen Anteil daran hatte die Entscheidung in Bretton Woods, das Weltfinanz- und Welthandelssystem an den US-Dollar zu binden. Noch wichtiger sind aber die Stärken und Vorzüge der amerikanischen Wirtschaft: tiefe und liquide Kapitalmärkte, gut ausgebildete und flexible Arbeitnehmer, ein einzigartiger Unternehmergeist und eine hohe Risikobereitschaft.

Für amerikanische Venture-Capital-Firmen ist es selbstverständlich, acht bis neun gescheiterte Unternehmen hinzunehmen, um ein bis zwei herausragende zu finden, sogenannte Einhörner. Ein Fehlschlag muss auch nicht das Ende der Karriere bedeuten: Einige der erfolgreichsten Gründer sind zunächst gescheitert, oft mehrfach.

Der europäische Konsumgütermarkt ist zwar ähnlich groß wie der amerikanische, aber der Kapitalmarkt ist kleiner und sehr viel fragmentierter, und der Arbeitsmarkt ist sehr viel starrer. Und Chinas Volkswirtschaft hängt noch immer mehr von staatlichen Investitionen als vom Konsum ab, und die Kapitalmärkte werden streng kontrolliert.

All das bedeutet, dass amerikanische Arbeitnehmer, Unternehmer und Investoren leichter die nötigen Risiken eingehen können, um sich an schnelle Veränderungen anzupassen. Im frühen 20. Jahrhundert wurde in den USA das Fließband erfunden, und vor nicht einmal einer Generation das Internet.

Wir halten die amerikanische Flexibilität heute für einen wichtigeren Wettbewerbsvorteil denn je – wegen Entwicklungen wie Künstlicher Intelligenz, aber auch wegen der immer unberechenbareren Politik, der Weltpolitik und häufigerer Lieferkettenstörungen.

Konjunktur holt auf

Wurde zuletzt Kapital von den USA in andere Regionen umgeschichtet? Es scheint so, aber wir sehen die Gründe dafür eher in der Konjunktur als in strukturellen Veränderungen. Wir glauben, dass der US-Dollar auf absehbare Zeit seine Vormachtstellung behält.

Die USA (und die Fed) stehen vor keiner leichten Aufgabe. Einerseits steigt die Inflation, andererseits dämpfen Zölle und niedrigere Staatsausgaben die Wirtschaft. Der Inflationsausblick für Europa scheint sehr viel günstiger, und gerade erst wurde ein neues Konjunkturprogramm verabschiedet. Deswegen schätzt unser Asset Allocation Committee europäische Aktien und Anleihen jetzt zuversichtlicher ein.

Wenn Kunden uns fragen, ob die übrige Welt gegenüber den USA jetzt etwas aufholt, ist meine Antwort ein Ja. Fragen Sie mich aber, ob die weltwirtschaftliche Führungsrolle der USA bald endet, antworte ich mit Nein.

„Das Geschäft der Amerikaner ist das Geschäft“, sagte Präsident Calvin Coolidge vor fast 100 Jahren. Wir meinen, dass das für die USA noch immer gilt – mehr als für jedes andere Land.

Von Joseph V. Amato, President und Chief Investment Officer – Equities, Neuberger Berman

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