Wir erwarten, dass die EZB auf ihrer Sitzung in dieser Woche ihre Leitzinsen unverändert lässt. Seit der jüngsten Sitzung im Juli haben sich die Wirtschafts- und Inflationsdaten nicht genug verändert, um eine weitere Zinssenkung zu rechtfertigen. Die Folgen der US-Zölle sind noch nicht eingetreten. EZB-Präsidentin Christine Lagarde hat gerade bestätigt, dass die Wirtschaftstätigkeit wieder auf ihr Potenzial ansteigt und die Inflation das 2-Prozent-Ziel erreicht.
Aus unserer Sicht werden die neuen EZB-Prognosen und Lagardes Rede wichtig sein. Sie sollten die Analyse der Lohnentwicklung nach den unerwartet guten Daten für das zweite Quartal beinhalten und erläutern, wie sich die Wirtschaftstätigkeit erholen kann. Wir erwarten nach wie vor bis mindestens Jahresende eine schwache konjunkturelle Lage und sehen das Risiko einer sinkenden Inflation aufgrund zunehmender asiatischer Exporte infolge der US-Zollerhöhungen und der Stärkung des Euro. Darüber hinaus sehen wir ein Risiko für die Konjunktur in Frankreich und Italien – und zwar lange vor der Wachstumsunterstützung durch die fiskalischen Anreize in Deutschland, die erst im nächsten Jahr erwartet wird. Vor diesem Hintergrund gehen wir davon aus, dass die Zentralbank auf ihrer nächsten Sitzung im Oktober den Leitzins erneut senken wird.
Die politischen Turbulenzen in Frankreich könnten ein Problem für den europäischen Markt darstellen, wenn die Wirtschafts- und Bankaktivitäten beeinträchtigt werden. Frankreich zeigt im europäischen Vergleich dank seiner diversifizierten Wirtschaft immer noch ein ordentliches Wachstum. Das bedeutet: Die Entwicklung des französischen Defizits, die seit 2023 von der seiner Partner abweicht, ist nicht auf ein wirtschaftliches Problem zurückzuführen – der üblichen Ursache für Staatsschuldenkrisen. Das französische Problem ist vielmehr auf unkontrollierte Fehlentwicklungen bei bestimmten Sozialausgaben zurückzuführen, die nur durch eine parlamentarische Mehrheit wieder unter Kontrolle gebracht werden können. Wir rechnen in den kommenden Wochen mit einer Ausweitung der Spreads französischer Staatsanleihen, die die Spreads anderer verschuldeter Euro-Länder geringfügig mitziehen werden. Sollte die politische Instabilität darüber hinaus anhalten, könnten die Auswirkungen auf das Wachstum die Ratingagenturen dazu veranlassen, das Rating Frankreichs herabzusetzen.
Wir rechnen in der Eurozone erst im nächsten Jahr mit einem wirtschaftlichen Aufschwung. Daher erwarten wir, dass die Kerninflation in der Eurozone unter das 2-Prozent-Ziel der EZB fallen wird. Das dürfte weitere Zinssenkungen und einen Rückgang der 10-jährigen Bundrendite unter 2,5 Prozent vor Jahresende rechtfertigen. Der europäische Anleihemarkt stand im Sommer angesichts der Staatsanleiheemissionen unter Druck, die in Frankreich und Italien höher als erwartet und in Deutschland sogar noch höher ausfielen. Aber fast alle Regierungen sind derzeit ihren Emissionsprogrammen für 2025 um rund 80 Prozent voraus. Ein geringerer Emissionsdruck im vierten Quartal dürfte daher zu einer Erholung des Anleihemarktes beitragen. Außerdem scheinen viele Länder ihre Haushalte besser als erwartet im Griff zu haben, so dass das Defizit geringer ausfällt als angekündigt.
Von Patrick Barbe, Head of European Investment Grade Fixed Income bei Neuberger Berman
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