Zwillingsdefizit in den USA: Mehr als nur ein Schönheitsfehler?

Steigende Zinskosten, expansive Fiskalpolitik und zunehmender Protektionismus verschärfen das „Zwillingsdefizit“ der USA. Warum dies nicht nur ein Schönheitsfehler ist, analysiert Thomas Romig, CIO Multi Asset bei Assenagon Asset Management. Assenagon Asset Management | 31.07.2025 11:31 Uhr
Thomas Romig, CIO Multi Asset, Assenagon Asset Management / © e-fundresearch.com / Assenagon Asset Management
Thomas Romig, CIO Multi Asset, Assenagon Asset Management / © e-fundresearch.com / Assenagon Asset Management

  • Das zeitgleiche Auftreten eines Haushalts- und eines Leistungs­bilanz­defizits gilt als strukturelles Merkmal der US-Volks­wirtschaft.
  • Doch aktuell erreicht die Kombination aus steigender Zinslast, expansiver Fiskal­politik und wachsendem Protek­tionismus eine neue Qualität.
  • Für global aufgestellte Anleger bleibt ein differenzierter Blick auf die fiskalische Nach­haltigkeit der USA und die Wechselkurs­risiken unerlässlich, um gegebenen­falls rasch reagieren zu können.

Die US-amerikanischen Finanz­märkte dominieren das globale Finanz­system. Mit 59 Billionen US-Dollar entfallen etwa 63 Prozent der weltweiten Markt­kapitalisierung von Aktien im Streu­besitz auf die USA, während US-Anleihen mit 58 Billionen US-Dollar rund 40 Prozent der globalen Anleihe­märkte ausmachen. Damit sind die US-Aktien­märkte beinahe sechsmal und die An­leihemärkte in etwa doppelt so groß wie ihre europäischen Pen­dants. Hinzu kommt die heraus­ragende Bedeutung des US-Dollars als Leit­währung – rund 58 Prozent der weltweiten Devisen­reser­ven der Zentral­banken werden in Dollar gehalten.

Die Tiefe und Liquidität der US-Finanz­märkte haben es den USA über Jahr­zehnte ermöglicht, gleich­zeitig erhebliche Haushalts- und Leistungs­bilanz­defizite zu finanzieren. Das sogenannte "Zwil­lings­defizit", also das zeitgleiche Auftreten eines Haushaltsdefizits und eines Leistungs­bilanz­defizits, gilt seit vielen Jahren als struk­turelles Merkmal der amerikanischen Volkswirtschaft. Investoren sahen es lange Zeit als zweit­rangigen Schönheits­fehler, der die Attraktivität der Vereinigten Staaten kaum beeinträchtigte. Mitt­lerweile deutet sich jedoch ein substan­zieller Stimmungs­wandel an. Einerseits verschlechtert sich die Haushalts­lage der USA zu­sehends, anderer­seits verunsichert der protektionistische Kurs der Trump-Administration zur Reduktion des Außenhandels­defi­zits zunehmend die Märkte. 

Hohe Zinslast schmälert die fiskalische Handlungsfähigkeit

Die Staats­verschuldung der USA liegt derzeit bei etwa 120 Prozent des Brutto­inlands­produkts (BIP) und erreicht damit ein historisch hohes Niveau. Gleichzeitig führen die seit 2022 deutlich restrikti­vere Geldpolitik und das gestiegene Zins­umfeld zu spürbar höhe­ren Finanzierungskosten. Der durch­schnittliche Zins­satz auf US-Staats­schulden, der Markt­entwick­lungen typischer­weise mit einer gewissen Zeit­verzögerung folgt, liegt inzwischen bei drei Prozent – rund einen Prozent­punkt höher als noch im Jahr 2020. Bei einer Gesamt­verschuldung von mehr als 36 Billionen US-Dollar stellt dieser Anstieg einen erheblichen Belastungs­faktor dar. Inner­halb von nur drei Jahren haben sich die jähr­lichen Zins­ausgaben der USA verdoppelt und betragen mittler­weile rund 1,1 Billionen US-Dollar. Zum Vergleich: Die Verteidigungs­ausgaben des Landes liegen aktuell knapp unter einer Billion US-Dollar. Die rapide gestiegenen Zins­verpflichtungen schränken somit den fiskali­schen Handlungs­spielraum der Regierung erheblich ein.

Die expansive Fiskal­politik unter Donald Trump verschärft die Lage zusätzlich. Das inzwischen verabschiedete Steuer­paket ("Big Beautiful Bill") wird die Staats­verschuldung in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich um weitere drei Billionen US-Dollar erhöhen, wodurch das jähr­liche Defizit auf über sieben Prozent des BIP ansteigen könnte. Es droht eine Schulden­spirale, in der ständig neue Kredite allein zur Finanzierung des Schulden­diens­tes benötigt werden. Die lang­fristige fiskalische Stabilität der Vereinigten Staaten kann dadurch ernsthaft gefährdet werden, insbesondere dann, wenn die Zinsen weiter nach oben gehen.

Die US-Regierung erzeugt mit ihrer aktuellen Politik einen Zielkonflikt, der die Glaubwürdigkeit der US-Wirtschaft dauerhaft destabilisieren könnte. -Thomas Romig, CIO Multi Asset

US-Zollpolitik belastet Verbraucher und Investitionen

Parallel zur expansiven Fiskal­politik versucht der amerikanische Präsident, das Leistungs­bilanzdefizit über Handels­zölle zu ver­kleinern oder ganz zu schließen. Nahezu alle Importe wurden mit Zöllen belegt, um das Handels­defizit zu reduzieren und die heimi­sche Industrie zu stärken. Die Hoffnung ist, dass amerikanische Firmen mehr produzieren, mehr verdienen und neue Jobs schaf­fen. Das ist allerdings nur ein Teil der Wahrheit, denn für Konsu­menten wirken die Zölle wie eine Verbrauchs­steuer. Konsum­güter werden teurer und die Kaufkraft verringert sich entsprechend. Das "Budget Lab" der Yale University schätzt, dass die Zölle das Preis­niveau im Jahr 2025 um 1,5 Prozent erhöhen – gleichbedeu­tend mit einem Rück­gang der realen Kaufkraft der amerikani­schen Haus­halte von durchschnittlich 2.000 US-Dollar. Zusätzlich belasten die unklare Ausrichtung der Handels- und Fiskal­politik, sowie die ständigen Ankündigungen und Verschiebungen von Zöllen die Investitions­planungen der Unternehmen erheblich. Firmen sehen sich mit einer hohen Unsicherheit konfrontiert, die langfristige Investitions­entscheidungen erschwert oder sogar ver­hindert. In Folge können dringend benötigte Investitionen aus­bleiben und langfristig die Wettbewerbs­fähigkeit sowie das Wachstums­potenzial der US-Wirtschaft beeinträchtigt werden.

Zielkonflikt von Handels- und Fiskalpolitik

Zudem stellt sich die Frage, ob eine expansive Fiskalpolitik über­haupt mit einer protektionistischen Handels­strategie in Einklang gebracht werden kann. Hohe Haushaltsdefizite erhöhen typi­scherweise die Inlands­nachfrage, entweder durch direkte öffent­liche Investitionen oder durch Steuer­erleichterungen, die Haus­halte und Unternehmen zu höherem Konsum und höheren Inves­titionen veranlassen. Wenn allerdings kurzfristig keine ausrei­chenden heimischen Produktions­kapazitäten aufgebaut werden können – was in den USA angesichts des angespannten Arbeits­marktes, einer hohen Kapazitäts­auslastung sowie jahrzehntelang gewachsener globaler Liefer­ketten schwierig erscheint – müssen die zusätzlich nachgefragten Güter importiert werden.

Dies führt zwangsläufig zu einem höheren Leistungs­bilanzdefizit. Die makro­ökonomische Identität, dass die Differenz zwischen den inländischen Ersparnissen und Investitionen dem Leistungs­bilanz­saldo entspricht, gilt weiterhin uneingeschränkt. Ein steigen­des Staats­defizit bei gleichzeitig konstanten oder rückläufigen privaten Ersparnissen mündet deshalb unweigerlich in einem wachsenden Leistungs­bilanz­defizit. Besonders kritisch wird diese Entwicklung, wenn die fiskalischen Maßnahmen konsum­orientiert und nicht produktivitäts­steigernd wirken.

Die US-Regierung erzeugt mit ihrer Politik daher einen Zielkon­flikt: Einerseits sollen heimische Unternehmen durch Handels­barrieren geschützt werden, andererseits wird durch expansive Fiskal­maßnahmen eine Import­nachfrage generiert, die das Leis­tungsbilanzdefizit weiter verschärft. Dieser inhärente Widerspruch könnte langfristig die Glaubwürdigkeit und Effektivität der US-Wirtschaftspolitik beeinträchtigen und erhöht das Risiko makro­ökonomischer Instabilität.

Von Thomas Romig, CIO Multi Asset bei Assenagon Asset Management

Dieser Artikel ist zuerst online erschienen am 22. Juli 2025 in der Börsen-Zeitung. (https://www.boersen-zeitung.de/kapitalmaerkte/zwillingsdefizit-in-den-usa-mehr-als-nur-ein-schoenheitsfehler)

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