Dr. von Wallwitz warnt vor Sorglosigkeit

Trotz schwacher Konjunkturdaten bleibt die Marktstimmung gelassen. Dr. Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei Eyb & Wallwitz, mahnt zur Wachsamkeit und vergleicht die Finanzmärkte mit komplexen Systemen – kleine Auslöser können große Effekte haben. Eyb & Wallwitz | 16.10.2025 11:50 Uhr
Dr. Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei Eyb & Wallwitz / © e-fundresearch.com / Eyb & Wallwitz
Dr. Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei Eyb & Wallwitz / © e-fundresearch.com / Eyb & Wallwitz

Märkte als komplexe Systeme

Trotz hoher Bewertungen und schwacher Konjunktursignale bleibt die Marktstimmung sorglos. Dr. Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei Eyb & Wallwitz, sieht Parallelen zur Theorie komplexer Systeme: Kleine Auslöser können große Marktbewegungen verursachen. Prognosen helfen wenig – entscheidend sind Wachsamkeit und Anpassungsfähigkeit.

Seit Jahrhunderten versuchen Mathematiker, Ökonomen und Anleger, Ordnung in das Chaos der Welt zu bringen. Schon Blaise Pascal und Pierre de Fermat suchten im 17. Jahrhundert nach den Regeln des Zufalls – und legten damit den Grundstein für die Wahrscheinlichkeitsrechnung. Doch so sehr sich die Wissenschaft seither verfeinert hat, eines bleibt: Der Mensch sehnt sich nach Berechenbarkeit, besonders dort, wo sie am seltensten zu finden ist – an den Finanzmärkten.

In der Theorie komplexer Systeme gibt es ein anschauliches Bild: den Sandhaufen. Fällt Korn um Korn auf einen Haufen, geschieht lange nichts – bis plötzlich ein einzelnes, unscheinbares Sandkorn eine Lawine auslöst. Niemand kann sagen, wann das geschieht oder wie groß die Lawine sein wird. Die Prozesse folgen keinem erkennbaren Muster; sie unterliegen einem sogenannten „Potenzgesetz“, das sich jeder klassischen Statistik entzieht.

So ähnlich verhalten sich auch Märkte und Volkswirtschaften. Kleine Veränderungen – eine Zollerhöhung, ein politisches Statement, ein technischer Durchbruch – können gewaltige Bewegungen auslösen, während große Eingriffe manchmal kaum Wirkung zeigen. Diese Nichtlinearität, verstärkt durch Rückkopplungen und menschliche Emotionen, macht Prognosen nahezu unmöglich.

Wie bei einem Lawinenforscher gilt auch für Anleger: Man kann erkennen, dass die Bedingungen für eine Lawine vorhanden sind, aber nicht, wann oder in welchem Ausmaß sie losbricht.

Ökonomische Vorhersagen – eine Illusion

Viele Marktbeobachter versuchen trotzdem, den nächsten Crash oder Aufschwung vorherzusagen. Doch die Geschichte lehrt: Crashpropheten liegen zwar gelegentlich richtig, verlieren aber in den Jahren dazwischen meist Geld. Und ewige Optimisten übersehen, dass selbst flache Flüsse tiefe Stellen haben – wer blindlings hindurchläuft, kann leicht untergehen.

Darum geht es an den Märkten nicht darum, das Morgen zu erraten, sondern die Gegenwart richtig zu verstehen. Die entscheidenden Fragen lauten:

  • Wie steht die Wirtschaft tatsächlich da?
  • Wie sind die Märkte bewertet?
  • Welche Geschäftsmodelle sind langfristig erfolgreich?
  • Und wie ist die Stimmung unter Anlegern?

Ein gemischtes Konjunkturbild

Aktuell ist das wirtschaftliche Umfeld schwach. In den USA zeigt die Konjunktur deutliche Bremsspuren: Der Arbeitsmarkt hat an Dynamik verloren, der private Konsum kühlt ab, und das Verbrauchervertrauen sinkt. Der Immobiliensektor, oft Frühindikator für die Gesamtwirtschaft, schwächelt – die Zahl der Baugenehmigungen ist auf dem niedrigsten Stand seit der Corona-Krise gefallen.

Zwar glänzt der Technologiesektor mit hohen Gewinnen und kräftigen Investitionen, doch die Wirtschaft insgesamt leidet unter den Folgen der angekündigten Zölle. Viele Unternehmen hatten ihre Lager noch vor Inkrafttreten der Maßnahmen gefüllt, doch dieser Sondereffekt verpufft nun.

In Europa setzt man große Hoffnungen auf fiskalische Impulse aus Berlin – bisher allerdings ohne sichtbare Wirkung. Und in China bleibt das Wachstum unter den Erwartungen.

Kurzum: Das globale Bild wirkt gedämpft, und die Inflationsraten sind vielerorts zu hoch, um mit Zinssenkungen gegenzusteuern.

Bewertungen auf Rekordniveau

Trotz der verhaltenen Konjunktur sind die Bewertungen an den Aktienmärkten hoch. Historisch betrachtet liegen die Kurs-Gewinn-Verhältnisse (KGV) in den USA, Deutschland und weltweit im obersten Dezil. Amerikanische Aktien sind teurer als in 97 % aller bisherigen Perioden – der DAX liegt mit 92 % nur knapp dahinter.

Besonders deutlich wird das am zyklisch adjustierten KGV (CAPE) des Nobelpreisträgers Robert Shiller: Es steht aktuell bei knapp 38, ein Wert, der in der Vergangenheit stets mit schwachen Renditen in den Folgejahren korrelierte. Wer heute kauft, zahlt hohe Preise – und braucht Geduld, um sie wieder hereinzuholen.

Die Argumentation vieler Investoren lautet: „Diesmal ist alles anders.“ Die hohe Bewertung sei durch das überragende Gewinnwachstum der großen Technologieunternehmen und den erwarteten Produktivitätsschub durch Künstliche Intelligenz gerechtfertigt. KI könne tatsächlich einen strukturellen Wandel auslösen – schnellere Wachstumsraten, geringere Zyklizität, weniger Kapitalbedarf und enorme Markteintrittsbarrieren für Konkurrenten. Ob diese Hoffnungen berechtigt sind, bleibt abzuwarten.

Stimmung: Sorglos, aber nicht euphorisch

Die Marktstimmung ist derzeit positiv – fast zu positiv. Die Cash-Quoten vieler Anleger sind niedrig, die Risikoprämien für Unternehmensanleihen gering. Gleichzeitig erleben Kryptowährungen und sogenannte „Meme-Aktien“ ein Comeback, getrieben von einer neuen Generation von Investoren, die seit über 15 Jahren keinen echten Bärenmarkt mehr erlebt hat.

An den Märkten herrscht die Devise: „Buy the dip“ – jeden Rücksetzer kaufen. Die Angst, etwas zu verpassen (FOMO), ist größer als die Furcht vor Verlusten. Solche kollektiven Stimmungen verleihen Märkten kurzfristig Stabilität, bergen aber langfristig Risiken, wenn sie sich in Selbstzufriedenheit verwandeln.

Vorsicht statt Vorhersage

Die Lage erinnert an den Sandhaufen: Die Körner fallen weiter, und noch hält der Haufen. Doch die Neigung wächst. Niemand weiß, welches Korn das System kippen lässt – eine neue Zollrunde, eine enttäuschende Gewinnsaison, geopolitische Spannungen oder schlicht eine Verschiebung der Anlegerpsychologie.

Die Bedingungen für eine Korrektur sind vorhanden, auch wenn sie nicht zwingend eintreten muss. Wer investiert, sollte daher wachsam, aber nicht ängstlich sein: Liquidität halten, Qualität bevorzugen, Bewertungen im Blick behalten.

Denn an der Börse gilt: Vorhersagen sind Illusionen – Anpassungsfähigkeit ist die wahre Tugend.

Dr. Georg von Wallwitz, Gründer und geschäftsführender Gesellschafter bei Eyb & Wallwitz

Weitere beliebte Meldungen:

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen. Das NewsCenter ist eine kostenpflichtige Sonderwerbeform der e-fundresearch.com AG für Asset Management Unternehmen. Copyright und ausschließliche inhaltliche Verantwortung liegt beim Asset Management Unternehmen als Nutzer der NewsCenter Sonderwerbeform. Alle NewsCenter Meldungen stellen Presseinformationen oder Marketingmitteilungen dar.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an

Regelmäßige Updates über die wichtigsten Markt- und Branchenentwicklungen mit starkem Fokus auf die Fondsbranche der DACH-Region.

Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden.