Die Wirtschaft der Eurozone ist im ersten Quartal um 0,3% gewachsen, was deutlich über der Konsensprognose von 0,1% liegt. Der Verbraucherpreisindex (HVPI) im Euroraum verharrte bei 2,4% gegenüber dem Vormonat. Die HVPI-Kerninflation ging von 2,9% im März auf 2,7% im Februar zurück. Dies liegt über den Markterwartungen von 2,6%. Die Dienstleistungsinflation ging ebenfalls zurück, aber nicht so schnell wie erwartet. Dennoch lag sie im April bei 3,7% gegenüber dem Vorjahr, nachdem sie im März zum fünften Mal in Folge um 4% gestiegen war.
Was bedeuten diese Zahlen für die EZB? Zunächst die gute Nachricht: In ihren Prognosen geht die EZB von einer stärkeren Erholung der Arbeitsproduktivität aus als es der Marktkonsens tut. Das scheint auch zuzutreffen. Denn das Wachstum zieht eindeutig wieder an. Etwa die Hälfte des Rückgangs der Arbeitsproduktivität ist auf den Dienstleistungssektor zurückzuführen, wobei das Wachstum in den Volkswirtschaften am stärksten ist, die sich stark auf den Dienstleistungssektor spezialisiert haben. Ein höheres Produktivitätswachstum im Dienstleistungssektor bedeutet, dass die EZB mit einer Lohninflation von 3 bis 3,5% zurechtkommt. Dies ist weitgehend der Fall. Eine Erholung der Produktivität impliziert ganz klar, dass die EZB die Zinsen senken kann, selbst wenn das Lohnwachstum nicht unter 3% fällt.
Die Inflationsdaten sind jedoch weniger günstig. Zwar ist die Dienstleistungsinflation im Jahresvergleich zurückgegangen, jedoch nicht so stark wie erwartet. Ein Teil dieses Rückgangs ist auf Basiseffekte aufgrund der Osterfeiertage zurückzuführen. Erst Ende Mai werden dem EZB-Rat Daten vorliegen, die nicht durch die Osterfeiertage verzerrt sind. Die implizierte Dienstleistungsinflation ist daher etwas höher als erwartet.
Die EZB wird angesichts des derzeit sehr hohen Zinsniveaus und eines neutralen Zinssatzes von nicht mehr als 3% noch im Juni mit Zinssenkungen beginnen. Diese Rahmenbedingungen lassen viel Spielraum für Zinssenkungen. Allerdings wird sich die EZB beim Tempo der Zinssenkungen nach der Juni-Sitzung eher von der tatsächlichen Dienstleistungsinflation als vom Argument der Arbeitsproduktivität leiten lassen. Die heutigen Daten machen es viel wahrscheinlicher, dass die EZB im Juli eine Zinssenkung auslässt und dann vielleicht 2-3 weitere Zinssenkungen in diesem Jahr vornimmt. Ein Szenario mit 4-5 Zinssenkungen ist in diesem Jahr nicht unbedingt zu erwarten. Insgesamt dürften die Daten die EZB vorsichtiger stimmen, was das Tempo der Zinssenkungen nach der Juni-Sitzung angeht.
Von Tomasz Wieladek, Chief European Economist bei T. Rowe Price