Die Kreditnachfrage der privaten Haushalte ist erstmals seit zwei Jahren wieder gestiegen. Dafür gibt es eine Reihe von Gründen: Erstens steigt das real verfügbare Einkommen der privaten Haushalte wieder kräftig an. Das bedeutet, dass die derzeitige und künftige Belastung der Haushaltsfinanzen durch hohe Zinssätze geringer wird. Die Energiepreise sind in einigen europäischen Ländern, wie z.B. Spanien, deutlich gesunken oder sind zumindest nicht weiter gestiegen. Bei stark steigenden Löhnen wird dadurch mehr verfügbares Einkommen für Hypothekenausgaben frei. Aufgrund dieser unterstützenden Faktoren ist es wahrscheinlich, dass das aktuelle Zinsniveau die Kreditnachfrage der privaten Haushalte nicht weiter dämpfen wird.
Für die aktuelle EZB-Diskussion ist wichtig, dass das Zinsniveau kein wesentlicher Bestimmungsfaktor für die Kreditnachfrage der privaten Haushalte ist. Schließlich ist die EZB darauf angewiesen, dass hohe Zinsen die Kreditnachfrage und damit die Wirtschaftstätigkeit dämpfen, um die Inflation wieder auf ihr Zielniveau zu bringen. Die heutigen Daten zeigen, dass die Kreditnachfrage wieder zunimmt, was darauf hindeutet, dass wir den Höhepunkt der Wirksamkeit der Geldpolitik in diesem Zyklus weit hinter uns gelassen haben. In ihrer Inflationsprognose geht die EZB jedoch von einer Straffung der monetären und finanziellen Bedingungen aus, um die Inflation wieder auf ihr Zielniveau zurückzuführen. Die hawkishen Mitglieder des EZB-Rats werden sich Sorgen über die nachlassende Wirkung der Geldpolitik machen, wenn die Inflation über dem Zielwert bleibt und die Kerninflation hartnäckig bleibt. Tatsächlich war die Erwartung, dass die Geldpolitik im gesamten Projektionszeitraum sehr wirksam bleiben würde, einer der Hauptgründe für die Entscheidung vom Juni. Sollten sich die Anzeichen für eine Abschwächung der geldpolitischen Transmission verdichten, so würde dies eine Herausforderung für weitere Zinssenkungen auf kurze Sicht darstellen. Sollten sich die Anzeichen für eine unerwartet starke Kreditnachfrage verdichten, könnte der EZB-Rat gezwungen sein, die Leitzinsen beizubehalten oder deutlich langsamer zu senken als von den Märkten erwartet.
Von Tomasz Wieladek, Chief European Economist bei T. Rowe Price