Auf die schärfste Aktienkorrektur der Geschichte folgte eine steile Erholung. Und das noch bevor die Auswirkungen auf die Weltwirtschaft in vollem Umfang greifbar sind. Die meisten Märkte konnten die Hälfte bis zwei Drittel der Verluste wieder aufholen. Einige Profiteure der Krise – beispielsweise der Technologiesektor und die Gesundheitsbranche – lagen zuletzt bezogen auf den Jahresbeginn sogar schon wieder im positiven Bereich. All das scheint vielen angesichts des Sturms, der über die Weltwirtschaft fegt, schwer nachvollziehbar. Daher folgt hier ein Erklärungsversuch, der nicht zuletzt auch für eine Einschätzung der nächsten Zukunft notwendig ist:
(1) Nach starken Abverkäufen folgen zwangsläufig Gegenbewegungen. Diese sind von technischen Faktoren getrieben, z. B. decken ultrakurzfristige Marktteilnehmer ihre Leerverkäufe zurück. Überdies haben Stimmung (Sentiment) und Positionierung im Verlauf des März negative Extremwerte erreicht, was oft Vorzeichen für steigende Märkte sind.
(2) Ob die wirtschaftliche Erholung einem V, einem U oder einem anderen Buchstaben gleicht, ist Gegenstand der Diskussion. Viele Prognosen (z. B. jene des Währungsfonds) gehen in Richtung V, wenn man sich das erwartete Wirtschaftswachstum 2021 ansieht. Der Markt nimmt diese Erholung vorweg.
(3) Die Notenbanken reagieren mit beispiellosen Maßnahmen. Diese zielen zuallererst auf die Stabilisierung der Finanzmärkte ab. Wenn viele Notenbanken signalisieren, ihre weitgehend unbeschränkten Möglichkeiten auch in Zukunft zu nützen, stützt das alle Marktsegmente. Viele Marktteilnehmer folgen hier dem Motto: Don’t fight the Fed.
Einschätzung: (1) Die kurzfristigen technischen Treiber sind ausgelaufen. (2) Auch bei einem V werden die Daten der nächsten Monate dramatisch negativ sein. (3) Die Notenbanken bleiben zwar als gewichtiger Unterstützungsfaktor, können kurzfristig allerdings nicht mehr signifikant nachlegen. Daher rechnen wir mit weiterhin hoher Volatilität, inklusive deutlicher Rücksetzer.
Staatsanleihen: Zusammenhalt der Eurozone auf dem Prüfstand
Die Covid-19-Krise wird vor allem die Schuldentragfähigkeit der europäische Peripherieländer infrage stellen. Dies gilt umso mehr, wenn man von keinem finanzierungstechnischen Zusammenhalt der Eurozone-Länder ausgeht. Wir erwarten diesen Zusammenhalt aber schon. Und mit der zunehmenden Anzahl an bewältigten Krisen durch die Länder steigt unsere Zuversicht.
Unternehmensanleihen: Ratingagenturen reduzieren flächendeckend Unternehmensratings
Die Free-Cashflow-Generierung erfolgt bei Investmentgrade-Unternehmen in Anbetracht der Covid-19-Krise nicht über operative Einnahmen, sondern über Fremdkapitalemissionen. Dies wird langfristig zwar die Bonitätsprofile belasten – und Ratingagenturen reduzieren bereits flächendeckend die Unternehmensratings – kurzfristig ist dieses Vorgehen aber alternativlos. High-Yield-Unternehmen fehlt praktisch seit über einem Monat der Zugang zum Anleihen-Primärmarkt, weshalb wir hier noch zurückhaltend sind.
Emerging-Markets-Anleihen: Hartwährungsanleihen eine der attraktiveren Anleiheklassen
Schwellenländer-Hartwährungsanleihen bleiben für uns eine der attraktiveren Anleiheklassen. Viele Emerging-Markets-Länder sind von der Rohstoffpreisentwicklung, bzw. der damit verbundenen Exporterlöse, abhängig. Deren Entwicklung ist vor dem Hintergrund der Covid-19 Pandemie zuletzt sehr schwach verlaufen, weshalb die Risikoprämien weiterhin auf hohen Niveaus verharren. Wir sehen allerdings einen Großteil der auf uns zukommenden fundamentalen Probleme bereits eingepreist.
Entwickelte Aktienmärkte: Deutliche Erholung, das Risiko für Kursrücksetzer steigt
Die internationalen Aktienmärkte konnten sich in den letzten Wochen von den Kursverlusten im März deutlich erholen. Die sehr negativen Konjunktur- und Gewinndaten können dank der umfangreichen Fiskalpakete und vor allem geldpolitischen Maßnahmen aktuell ausgeblendet werden. (Der treibende Faktor ist damit einmal mehr die umfangreiche Zentralbankenliquidität.) Kurzfristig steht für uns weiterhin das Risikomanagement – und damit eine vorsichtige Portfolioausrichtung – im Vordergrund. Angesichts der markanten Kurserholung steigt das Risiko für erneute Kursrücksetzer.
Aktienmärkte Schwellenländer: zuletzt deutliche Erholung, Gewinnentwicklung geht zurück
Aktien aus den Schwellenländern konnten sich zuletzt erholen. Auf Sektorebene zeigt sich, dass die Bereiche Gesundheit und Telekom seit Jahresbeginn mittlerweile sogar im Plus sind. Am stärksten negativ sind hingegen die zyklischen Sektoren (Finanz, Energie und Industrie) betroffen. Die Gewinnentwicklung geht deutlich zurück und trifft jene Regionen stärker, die zyklischer aufgestellt sind. Dabei ist wichtig festzuhalten, dass das Tief bei den Gewinnen noch nicht erreicht ist, da die wirtschaftliche Entwicklung weiterhin rückläufig ist.
Rohstoffmärkte: umfangreiche Angebotskürzungen bei Rohöl sind unausweichlich
Die Auswirkungen der Covid-19-Krise werden an den Rohstoffmärkten besonders deutlich sichtbar. Im Energiebereich führte der Nachfrageeinbruch (in Kombination mit vollen Lagern) zu markanten Marktverwerfungen, bis hin zu einem kurzfristig negativem (US-Ölsorte WTI) Ölpreis. Wir sehen dies aber als kurzfristiges Phänomen, umfangreiche Angebotskürzungen sind unausweichlich. Einzig der Edelmetallbereich profitiert unverändert von den Notenbankmaßnahmen.
Ingrid Szeiler, Chief Investment Officer, Raiffeisen KAG