Die Wahl in den USA wirft ihre Schatten voraus. Die erste TV-Konfrontation deutet darauf hin, dass für die kommenden Wochen keine niveauvolle Auseinandersetzung zwischen den beiden Kontrahenten zu erwarten ist. Das hat viele Wähler und Beobachter enttäuscht zurückgelassen. Offen ist nun auch, welche Auswirkung die Covid-19-Erkrankung Trumps auf die weiteren geplanten TV-Duelle und natürlich auch auf seine politischen Aktionen haben wird.
Für die Finanzmärkte ist es wichtig, dass es am Wahlabend oder wenigstens innerhalb von wenigen Tagen nach der Wahl, einen anerkannten Sieger geben wird. Doch daran gibt es beträchtliche Zweifel. Und auch das Gezerre um zusätzliche Fiskalspritzen in den USA trägt nicht unbedingt zu einer positiven Stimmung am Markt bei. Überbewerten sollte man diese politischen Einflüsse aber nicht, insbesondere was den mittelfristigen Ausblick betrifft. Die Wahl wird vorübergehen und früher oder später werden die USA einen Präsidenten und ein Fiskalpaket haben. Eine erhöhte Volatilität ist in den nächsten Wochen dennoch zu erwarten.
Andererseits gibt es auch positive Einflussfaktoren. Zunächst ist die Weltwirtschaft auf Erholungspfad, auch wenn der eine oder andere Indikator vorübergehend schwächelt. Die Unternehmensgewinne haben ihre Talsohle durchschritten und werden im nächsten Jahr zweistellig wachsen. Und am Anleihemarkt sind die Renditen vieler Segmente, wie etwa Euro-Staatsanleihen, wieder zu ihren Tiefständen zurückgekehrt und damit unattraktiver geworden. Die taktische Strategie ist nun, die Positionierung für eine mittelfristig positiv erwartete Marktphase einzugehen. Die Marktkorrektur der letzten Wochen hat gute Gelegenheiten geboten, den Aktienanteil wieder stärker aufzubauen. Bestimmt lassen sich Rücksetzer, die in den nächsten Wochen durchaus wahrscheinlich sind, für diese Strategie nutzen.
Staatsanleihen: Italienische und spanische Papiere bleiben attraktiv
In dieser Assetklasse sehen wir bei Staatsanleihen der europäischen Peripherie die größten Chancen, insbesondere bei italienischen und spanischen Staatsanleihen, deren Risikoprämien zuletzt weiter gesunken sind. Sie befinden sich nun auf Niveaus vom Februar 2020. Das weitere Abwärtspotenzial ist definitiv gesunken. Aber: Selbst wenn Peripherie-Spreads in etwa auf den aktuellen Niveaus verharren, bleiben Anleihen der Peripherie relativ zu Staatsanleihen Kerneuropas attraktiv.
Euro-Unternehmensanleihen mit guter Bonität weiter attraktiv
Wir erachten den Euro-Investmentgrade-Unternehmensanleihe-Markt weiterhin als attraktiv und sehen diese Anleihekategorie gegenüber europäischen Staatsanleihen als chancenreicher. Hingegen sind wir bei US-Dollar-High-Yield-Unternehmensanleihen inzwischen etwas vorsichtiger geworden.
Emerging-Markets-Anleihen: Risiken steigen
Nachdem wir Schwellenländer-Hartwährungsanleihen über Monate hinweg gegenüber globalen und europäischen Anleihen favorisiert haben, sehen wir für diese Assetklasse nun gewisse Risiken. Denn vor dem Hintergrund der Unwägbarkeiten der politischen Entwicklung vor der US-Präsidentschaftswahl Anfang November und der zuletzt stärker angestiegenen Covid-19-Infektionsraten, könnten diese von einer abermaligen gedämpften globalen Handelsaktivität stark negativ getroffen werden.
Entwickelte Aktienmärkte: negative Gewinnrevisionsdynamik hat sich abgeflacht
An den internationalen Aktienmärkten kam es in den letzten Wochen zu einer leichten Konsolidierung. Die umfangreichen Fiskalpakete und geldpolitischen Maßnahmen stellen weiterhin einen wichtigen Unterstützungsfaktor dar. Erfreulich ist, dass sich die negative Gewinnrevisionsdynamik zuletzt deutlich abgeflacht hat bzw. teilweise sogar ins Positive gedreht hat.
Schwellenländer-Aktien: kaum mehr Einschränkungen der wirtschaftlichen Leistung in China
Mittlerweile kann zweifelsfrei festgestellt werden, dass Asien am wenigsten weit von einer Form der Normalität entfernt ist. Insbesondere in China lassen sich kaum mehr Einschränkungen der wirtschaftlichen Leistungen durch Corona erkennen. Das sieht man an der deutlich stabileren Gewinnentwicklung der asiatischen Unternehmen. In der Peripherie der Emerging Markets (Lateinamerika und Osteuropa) sind die Spuren der Covid-19-Krise dafür überdeutlich.
Rohstoffe: Korrektur bei Edelmetallen bietet Chance für Positionsaufbau
Nach einer Erholung in den letzten Monaten entwickelten sich die Rohstoffpreise zuletzt seitwärts. Bei den zyklischeren Sektoren (Energie- und Industriemetalle) sehen wir das kurzfristige Aufwärtspotential limitiert. Nach einer übertrieben positiven Marktstimmung nutzen wir die Korrektur der letzten Wochen bei Edelmetallen zu einem Positionsaufbau. Die unverändert sehr expansiven globalen Notenbanken in Kombination mit deutlich negativen Renditen bei sicheren Staatsanleihen unterstützen diesen Sektor weiterhin.
Ingrid Szeiler, Chief Investment Officer, Raiffeisen KAG