Mehr als 70 Notenbanken weltweit haben heuer bereits einen „großen“ Zinsschritt im Ausmaß von mindestens 0,5 % gesetzt. Als jüngstes Beispiel reiht sich die Bank of England in den globalen Tenor ein, dass die Inflationsbekämpfung aktuell das prioritäre Ziel der Geldpolitik ist. Das sollte nicht weiter überraschen angesichts von Inflationsraten, die weit über den Zielwerten liegen und einer Konjunktur, die sich relativ gut hält. Vor allem die Arbeitsmärkte, die für die Notenbanken besonders relevant sind, präsentieren sich bombenfest. Sollte die Konjunktur stärker einbrechen, werden die Notenbanken rasch zurückrudern und Wirtschaft sowie Finanzmärkte wieder mit billigem Geld stützen. Diese Schlussfolgerung war eine der Triebfedern der jüngsten Erholung an den Aktienmärkten. Immerhin werden für 2023 bereits wieder die ersten Zinssenkungen gepreist. Hier verharren viele Marktteilnehmer im Muster der Jahre nach der Finanzkrise. Jede Krise bzw. Stressphase am Markt wurde in diesem Zeitraum von den Notenbanken mit zusätzlichen Liquiditätsmaßnahmen gemildert. (Zu) niedrige Inflationsraten waren die Rechtfertigung. Genau hier liegt die Problematik, denn die Inflation ist aktuell viel zu hoch. Deshalb ist es maßlos verfrüht, über die nächsten Zinssenkungen nachzudenken. Davor muss die Inflation sinken, was zum Teil auch von der Nachfrageseite kommen muss. Bedeutet: Die Notenbanken werden die Zinsen anheben, bis über eine schwächere Wirtschaft die Inflation sinkt. Die erhoffte Kehrtwende in der Geldpolitik wird daher länger auf sich warten lassen als manche wahrhaben wollen. Die Währungshüter versuchen, das dem Markt zu signalisieren, was aber geflissentlich ignoriert wird. Die unangenehme Wahrheit wird die Finanzmärkte jedoch früher oder später einholen.
Italienische Staatsanleihen weiterhin im Fokus
Die Risikoprämien von italienischen Staatsanleihen sind nach Querelen in der italienischen Innenpolitik und dem Rücktritt des Ministerpräsidenten Mario Draghi angestiegen, um kurz darauf wieder zu sinken. Neuwahlen sind für den 25. September 2022 festgelegt worden. Wir erachten italienische Staatsanleihen als attraktiv und bevorzugen darüber hinaus in dieser Assetklasse kurz laufende Staatsanleihen (Deutschland, USA) und rechnen mit einer steileren Zinskurve. Vor allem die US-Zinskurve ist mittlerweile kräftig invers geworden.
Unternehmensanleihen: Attraktivität von Bankanleihen steigt
Am Unternehmensanleihemarkt präferieren wir aktuell Bankanleihen gegenüber Non-Financials Anleihen (Industrieanleihen) und bevorzugen Investmentgrade-Anleihen (EUR) gegenüber High-Yield-Unternehmensanleihen (EUR). Die Risikoprämien letzterer signalisieren zwar deutlich angestiegene Ausfallsrisiken, diskontieren unserer Meinung nach jedoch noch nicht ausreichend eine zu erwartende Abkühlung der konjunkturellen Entwicklung. Auch deutsche Pfandbriefe erachten wir weiterhin als attraktiv.
Emerging-Markets-Anleihen mit einigen Unsicherheitsfaktoren
Die Risikoprämien von Emerging-Markets-Hartwährungsanleihen sind durchaus attraktiv, doch vor allem die in Asien/China zunehmend schwachen Konjunkturindikatoren, ein mehr als problematischer Immobiliensektor und ein offenbar verpuffendes Stimuluspaket veranlassen uns dazu, bei dieser Anleiheklasse vorerst nicht zuzugreifen.
Entwickelte Aktienmärkte: restriktiver werdendes Liquiditätsumfeld als Belastung
Die internationalen Aktienmärkte konnten zuletzt deutlich zulegen. In Bezug auf die Rückgänge bei den Vorlaufindikatoren scheint daher die Hoffnung auf weniger aggressive Notenbanken die Sorge vor einer deutlichen Gewinneintrübung zu überwiegen. Wir sehen das restriktiver werdende Liquiditätsumfeld aber unverändert als einen der größten Belastungsfaktoren für die nächsten Monate. Wir sind skeptisch, dass die Notenbanken sehr schnell eine Kehrtwende vollziehen werden und haben daher nach der Kurserholung unsere Untergewichtung bei Aktien um einen weiteren Schritt ausgebaut.
Schwellenländer-Aktienmärkte konnten von positiver Kapitalmarktstimmung nicht profitieren
Emerging-Markets-Aktien konnten in den letzten Wochen von der positiven Kapitalmarktstimmung kaum profitieren. Vor allem China präsentierte sich sehr schwach. Neben der deutlich abnehmenden Konjunkturdynamik belasten unverändert die Turbulenzen im Immobilienbereich. Wir sind in Summe aktuell im Aktienbereich sehr defensiv positioniert.
Rohstoffmärkte zuletzt wieder etwas fester
Die Rohstoffmärkte präsentierten sich zuletzt wieder etwas fester, wobei in den letzten Monaten vor allem die zyklischen Industriemetalle aufgrund von zunehmenden Konjunkturwachstumsängsten Verluste hinnehmen mussten. Eine Sonderrolle nimmt aktuell unverändert der Energiesektor ein, der stark von der Nachrichtenlage in der Ukraine bzw. von den Entwicklungen im Bereich Erdgas beeinflusst wird.
Ingrid Szeiler, CIO der Raiffeisen KAG