Philippe Waechter, ChefvolkswirtNatixis Asset Management
"Entscheidend ist stets das richtige Timing. Die Fed möchte bei der Normalisierung der Geldmarktpolitik vor allem eine Wiederholung der Ereignisse der Jahre 1937-1938 vermeiden. Damals brach die Konjunktur nach einigen Jahren starken Wachstums zusammen, als die Geldmarktpolitik sich wieder entspannt hatte. Ein aktuelleres Beispiel ist die Abkühlung des US-Immobilienmarktes 2013, nachdem die Hypothekenzinsen als Reaktion auf die Aussagen des damaligen Fed-Präsidenten Ben Bernanke vor dem Kongress im Mai 2013 angezogen sind. Die eigentliche Frage lautet also: Kann die Fed dieses Risiko eingehen und jetzt vorpreschen?
Wann wird die Fed die Zinsen erhöhen?
Die Anleger scheinen damit zu rechnen, dass die Fed im März oder April 2015 zum ersten Mal an der Zinsschraube drehen wird. Aus den zuvor genannten Gründen halten wir diesen Zeitpunkt für verfrüht. Die zweite Jahreshälfte 2015 wäre günstiger. Bislang spricht nichts für eine starke Inflation deutlich über dem Fed-Zielwert von 2%, der erreicht werden müsste, bevor die Notenbank die Zinsen wieder erhöht. Daher wird sich die Fed vermutlich Zeit lassen und erst ganz sicher gehen, dass sich die US-Konjunktur auch ausreichend stabilisiert hat.
Könnte die geplante Beendigung der Fed-Anleihekäufe übertriebene Reaktionen der Märkte auslösen?
Vermutlich hat das Ende der Fed-Anleihekäufe nur geringe Auswirkungen. Dafür sprechen zwei Gründe: Zum einen hat die Fed bereits im Januar ihre Anleihekäufe gedrosselt und die Märkte reagierten kaum. Tatsächlich sind die langfristigen Zinsen in den USA heute niedriger als vor Beginn des Taperings. Zum anderen ist jetzt die Europäische Zentralbank (EZB) am Zug. Die Zentralbanken stimmen sich in gewisser Weise untereinander ab. Wenn die eine ihre Anleihekäufe zurückfährt, kauft die andere mehr. Diese Abstimmung ist wichtig. Daher rechnen wir auch nicht mit Liquiditätsproblemen.
Wie sehen Sie die künftige Geldmarktpolitik der EZB?
Im Juni hat die EZB ihren Hauptrefinanzierungssatz auf 0,15% und den Einlagenzins auf -0,10% gesenkt. Diese Zinsen bleiben bis Ende 2016 unverändert. Es ist sogar durchaus möglich, dass die EZB noch bis Dezember 2018 an ihnen festhält. Das Ziel war die Stabilisierung des Geldmarktes und die Senkung der langfristigen Zinserwartungen. Derzeit funktioniert dies auch: Die 10-jährigen deutschen Bundesanleihen liegen bei ca. 1% und die Tagesgeldsätze bei knapp zwei Basispunkten. Diese Strategie langfristig niedriger Zinsen resultiert aus den schwachen Wachstumsprognosen sowie der sehr niedrigen Inflation. Diese könnte sogar in eine Deflation umschlagen. Tatsächlich hat die EZB gar keine andere Wahl, als die Geldmarktpolitik auf „sehr lange Sicht“ expansiv zu gestalten.
Zudem wird die EZB ein 400 Milliarden Euro schweres Liquiditätsprogramm auflegen, das an die Vergabe von Bankkrediten an Wirtschaftsteilnehmer außerhalb des Finanzsektors geknüpft ist. Davon ausgenommen sind Hypothekenkredite. Das Programm soll die Finanzierungssituation der Unternehmen verbessern. Die EZB versucht so die interne Nachfrage nach Krediten anzukurbeln. 2015 und 2016 könnte die Liquidität für zielgerichtete, langfristige Refinanzierungsgeschäfte über dieses Instrument unter Umständen steigen. Die Laufzeit dieses Programms ist bislang bis Ende 2018 vorgesehen – also eine langfristige Maßnahme.
Und schließlich ist die EZB auch für die Aufsicht des Bankensektors im Euroraum verantwortlich. In dieser Eigenschaft wird sie Ende Oktober die Ergebnisse der bei den großen Banken im Euroraum durchgeführten Stresstests veröffentlichen. Je nach Ergebnis, könnte dies Einfluss auf die Finanzmärkte haben.
Wird die britische Zentralbank die Zinsen normalisieren?
Die Signale der Bank of England sind nicht eindeutig. Daher ist aktuell nicht klar, wann eine Zinserhöhung kommt. Es ist unbestritten, dass sich die britische Wirtschaft erholt hat: Die Makroindikatoren haben sich jedoch noch nicht übermäßig verbessert. Das Bruttoinlandsprodukt (BIP) hat im zweiten Quartal 2014 gerade erst Vorkrisenniveau erreicht. Das Pro-Kopf-BIP liegt mit 5% im ersten Quartal 2014 immer noch deutlich unter Vorkrisenniveau. Daran ist abzulesen, dass sich die Auswirkungen der Krise hartnäckig halten und eine zu schnelle Erhöhung der Zinsen die Konjunkturerholung in England beeinträchtigen könnte. Die Bank of England wartet vermutlich auf eine Erholung am Arbeitsmarkt mit steigenden Reallöhnen, bis sie wieder zu einer weniger lockeren Geldmarktpolitik übergeht."