Was mich schon lange umtreibt: Überall in der Welt wird geschossen, und es gibt Konflikte, die kaum unterhalb der Schwelle eines Krieges sind. Da müsste man doch annehmen, dass sich die Anleger an den Kapitalmärkten mit Investments zurückhalten. Die Aktienkurse müssten fallen. Was aber passiert, ist genau das Gegenteil. Die Hausse an den Börsen hat sich zwar verlangsamt, die Kurse brechen aber nicht ein. Irgendetwas passt da nicht zusammen.
Zunächst zu den Fakten. Die Angst der Anleger vor geopolitischen Risiken ist nicht ganz leicht zu messen. Es liegt nahe, dazu die Entwicklung der Aktienkurse heranziehen. Das führt jedoch leicht zu Fehleinschätzungen, weil die Kurse von vielen, ganz unterschiedlichen Faktoren beeinflusst werden. Ein besserer Indikator sind die Schwankungen der Aktienkurse, also die Volatilität. Wenn sie gering ist, sind die Anleger ruhig und entspannt. Wenn sie hoch ist, zeigt das, dass sie nervös sind und Angst haben. Volatilitätsindices werden daher oft auch als Angst-Barometer bezeichnet.
Der bekannteste solche Index ist der ^VIX. Er misst die Volatilität der Kurse beim amerikanischen S&P Index. In der Graphik habe ich seine Entwicklung in den letzten 25 Jahren dargestellt. Das Bild spiegelt die Krisen in dieser Zeit wider. Es begann 1990 mit den Unruhen nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Das war relativ harmlos. Zehn Jahre später dann die Asienkrise, die Zahlungsunfähigkeit Russlands, die Attentate vom 11. September in New York und der dritte Golfkrieg.
Der ^VIX ging steil nach oben. 2008 kamen die große Finanzkrise und anschließend die Eurokrise. Der Index schlug noch stärker aus. Gemessen daran könnte man den Eindruck haben, als lebten wir heute in der besten aller Welten. Der Index ist so niedrig wie in den schönsten Friedenszeiten. Er ist zwar in den letzten vier Wochen etwas gestiegen, liegt aber noch weit unter den früheren Krisenniveaus.
Das kann nicht richtig sein. Fast könnte man meinen, die Börsen hätten die Krise verschlafen. Manche erklären das damit, dass die Aktienkurse eben nicht von der Politik beeinflusst werden. „Politische Börsen haben kurze Beine“, sagt man. Das trifft auf die aktuelle Situation aber nicht zu. Die gegenwärtigen Krisen sind keineswegs nur politisch. Sie haben erhebliche wirtschaftliche Wirkungen. Russland ist tief in die Rezession gerutscht und fällt als Partner im Welthandel weitgehend aus. Es gibt Sanktion zwischen West und Ost, die vielen Unternehmen weh tun. Der Handel mit dem Nahen Osten ist gestört.