Insgesamt ist das eine Rückbildung der Globalisierung, die der Welt in der Vergangenheit so viel Wachstum gebracht hat. Das verringert die Gewinne der Unternehmen. Es muss sich folglich auf die Aktienkurse auswirken.
Dass das bisher nicht so sichtbar ist wie in früheren Krisen, liegt einmal daran, dass die Entwicklung kein „big bang“ ist wie etwa ein drastischer Anstieg der Ölpreise. Sie vollzieht sich vielmehr schleichend. Man merkt sie erst nach einer gewissen Zeit. Das dicke Ende kommt also noch.
Zudem zeigt sich hier der Einfluss der hohen Liquidität und der niedrigen Zinsen. Die Anleger kaufen nicht Aktien, weil sie so zuversichtlich in die Zukunft schauen. Sie tun es, weil es so viel Geld gibt, das investiert werden muss. Wie in so vielen anderen Fällen verschleiert der überreichliche monetäre Mantel das tatsächliche Ausmaß der Probleme. Sie wiegt uns in trügerischer Sicherheit.
Eine Rolle spielt ferner die fundamental geänderte Situation am Ölmarkt. Trotz der Auseinandersetzungen im Nahen Osten und der Bombardierung von Ölquellen steigen die Preise nicht. Sie sinken, weil es genügend Öl in der Welt gibt. Das erhöht die Gewinne der Unternehmen und stärkt die Kaufkraft der Verbraucher. Es ist ein Gegengewicht zu den geopolitischen Spannungen.
Schließlich: Die jetzigen Krisen sind zwar schlimm. Sie signalisieren ein Ende der „Friedensdividende“ nach dem Fall des Eisernen Vorhangs. Sie stellen sich aber – bisher jedenfalls –nicht so dramatisch dar wie etwa die Eurokrise, als der Verlust einer ganzen Währung drohte.
Manche fragen, warum der Goldpreis, das klassische Krisenbarometer, so wenig auf die Risiken reagiert. In den letzten Monaten ist er nicht gestiegen, sondern gefallen. Ein Grund ist, dass die Krisen doch noch nicht so nahe an den Menschen in Mitteleuropa sind wie viele denken. Wichtiger noch: Es wird immer wieder übersehen, dass der Goldpreis nicht nur von Privatkunden beeinflusst wird. Hier spielen vielmehr auch Regierungen und Zentralbanken eine wichtige Rolle. Wer kann beispielsweise ausschließen, dass die Kriege auch mit Goldverkäufen finanziert werden?
Für den Anleger: Wiegen Sie sich nicht zu sehr in Sicherheit, weil die Aktienkurse auf die geopolitischen Risiken bisher so wenig reagieren. Unter dem Mantel der hohen Liquidität tut sich mehr als viele denken. Es ist daher noch nicht aller Tage Ende. Die Situation kann sich schnell ändern. Ich will nicht unken. Aber stellen Sie sich vor, was passiert, wenn Russland im Winter plötzlich die Gaslieferungen kürzen sollte und Westeuropa frieren muss. Da würde der Gaspreis schnell nach oben gehen. Der Angst-Index ginge mit einem Mal durch die Decke. Die Aktienkurse fielen in den Keller.
Dr. Martin Hüfner
Volkswirtschaftlicher Berater
direktanlage.at & Assenagon Asset Management
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