Eine unerwartete Überraschung
Die Pandemie hat den Kapitalmarkt in vielerlei Hinsicht völlig auf den Kopf gestellt. Nachdem die Zentralbanken 2020 ihre Geldschleusen weit geöffnet haben und die Weltwirtschaft sich schnell wieder rehabilitiert hat, müssen sich die Experten mit dem nächsten Problem auseinandersetzen. Die Inflation bereitet vielen Anlegern große Sorgen. Obwohl der Großteil der Marktbeobachter und Experten am Anfang noch davon sprach, dass die Inflation nicht explodieren werde und es auch mit Blick auf das langfristige Inflationsniveau keinen Grund zur Sorge gebe, zeichnen die zuletzt veröffentlichten Inflationszahlen ein anderes Bild.
So stieg etwa die Inflation in den USA per Ende November auf 6,8 Prozent, in Österreich auf 4,3 Prozent. Dies sind absolute Rekordwerte, mit denen nur die wenigsten Experten gerechnet hatten. Grundsätzlich wirken sich steigende Zinssätze und Inflation auf die Gewinnspannen aller Unternehmen aus, können aber auch als ein Zeichen für eine starke Wirtschaft gedeutet werden. Eine Wirtschaft, die derzeit vor allem von den großzügigen Unterstützungen der Zentralbanken lebt. Dies konnte man auch an den Börsen sehr gut verfolgen. Als die Fed im Oktober ihre Tapering-Pläne ankündigte reagierte der Markt kurzzeitig verängstigt, erholte sich aber schnell wieder. Als die Fed dann im Dezember Zinserhöhungen für 2022 bekanntgab, reagierte der Markt so gut wie gar nicht. Es war allen klar, dass die Zentralbanken den Kurs wechseln müssen.
Die Zentralbanken sind am Zug
Doch wie sieht es mit der Inflation nun wirklich aus? Die Europäische Zentralbank ist sich laut Direktorin Isabel Schnabel selbst nicht ganz sicher, in welchem Maß der Inflationsdruck 2022 sinkt. Die EZB ist sich durchaus bewusst, dass die Inflation noch für eine gewisse Zeit erhöht bleibt, aber dass sie zugleich im Laufe von 2022 nachlassen wird. Zur Erinnerung, die Europäische Zentralbank hat jüngst angegeben, dass die Teuerungsrate Ende nächsten Jahres wieder unter den Zielwert der Notenbank sinkt. Dieser liegt bei zwei Prozent.
“Für 2022 erwarten wir eine Fortsetzung des allgemeinen Trends zu einer strafferen Geldpolitik, wobei viele Zentralbanken die Zinssätze anheben dürften. Wir gehen jedoch davon aus, dass einige Zentralbanken, allen voran die Europäische Zentralbank und die Bank of Japan, ihre Zinssätze beibehalten werden”, sagt etwa Sandra Holdsworth von Aegon Asset Management. Dabei ist nicht zu vergessen, dass die EZB weiterhin etliche Milliarden in den Kauf von Staatsanleihen und Unternehmenspapieren steckt. Das allgemeine Kaufprogramm APP wird vorübergehend sogar aufgestockt. Ein abrupter Übergang müsse vermieden werden, sagte EZB-Chefin Christine Lagarde.
Natürlich kann man auch im Zuge des möglichen Abklingens der Pandemie, dem starken Wirtschaftswachstum und der Rekordinflation gut erkennen, dass politische Maßnahmen, in der Form, wie wir sie kennen, nicht mehr wirklich erforderlich sind. Auch die Zentralbanken haben hierbei neue Erkenntnisse erlangt und werden in den nächsten Jahren wahrscheinlich einen strengeren bzw. restriktiveren Kurs in der Finanzpolitik fahren. Die neuen COVID-Varianten bergen immer noch Risiken, doch dürften diese mittlerweile am Markt eingepreist sein und nur für absehbare Verzögerungen des Wachstums sorgen. Dies bestätigt auch Michael Grady, Head of Investment Strategy bei Aviva Investors: “Wir erwartet für das Jahr 2022 zwar eine Verlangsamung der wirtschaftlichen Erholung, die jedoch im historischen Vergleich robust bleibt. Die starken Bilanzen der privaten Haushalte und Unternehmen dürften die anhaltende Expansion und den Aufholprozess nach COVID weiterhin begünstigen.”
Schutz vor der Inflation
Jetzt stellt sich nur noch die Frage, wie man sich auch im neuen Jahr gegen die Inflation schützen kann. Die steigenden Zinsen bieten die Chance ein positives Umfeld bei den Hochzinsanleihen anzutreffen. “Wir sehen die Aussichten für globale Hochzinsanleihen für das kommende Jahr weiterhin recht optimistisch, insbesondere im Hinblick auf den relativen Wert gegenüber anderen festverzinslichen Anlageklassen”, analysiert Tom Hanson, ebenfalls von Aegon Asset Management. Die Analysten von Aberdeen Asset Management sehen vor allem in den Schwellenländern noch Potential: “Trotz der ersten Anzeichen einer geldpolitischen Straffung seitens der Zentralbanken in den Industrieländern könnte es (...) sein, dass uns das von niedrigeren Zinsen geprägte Umfeld noch eine Weile begleiten wird. Die Bewertungslücke zwischen Schwellen- und Industrieländeranleihen dürfte somit ebenfalls bestehen bleiben.” Des Weiteren war in den vergangenen Wochen zu erkennen, dass der US-Dollar im Vergleich zum Euro immer stärker geworden ist. Dies hat vor allem mit dem mutigen Auftreten der Fed und Jerome Powell zu tun.
DPAM CEO Peter De Coensel beurteilt dies wie folgt: “Die Zukunft des US-Dollars als globale Reservewährung schlechthin und als solide Portfolioabsicherung in Stresssituationen sieht gut aus. Während die FED die führende Rolle spielte und sie die Bereitstellung von reichlich USD-Liquidität über die weltweiten Handelskanäle vorantrieb, änderte sie Ende des Sommers ihren Kurs und nahm es ernst mit der Verankerung von Inflation und Inflationserwartungen.”
Teuerung geht auch anders
Generell sollte man aber nicht außer Acht lassen, dass Teuerungen auch von anderen Faktoren beeinflusst werden. Gerade Rohstoffe wie Öl, Gas und Kohle werden durch Klimaschutzmaßnahmen generell teurer. Und auch die Umkehr zurück zu einer regionalen Wirtschaft bzw. einer De-Globalisierung werden die Kosten weiter in die Höhe treiben. Die Kostensteigerungen werden irgendwann auch zur Normalität. Denn ein Inflationsregime entsteht nicht nur aus einem Treiber, sondern basiert auf einem Zusammenspiel mehreren Faktoren.
Neben den treibenden Finanzeffekten kann noch eine ganz einfache menschliche Entwicklung die Inflation treiben: der demographische Wandel. Durch diesen sinkt der Anteil der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter. Dies verknappt zusätzlich das Arbeitsangebot, welches wiederum für erhöhte Löhne und eine höhere Inflation sorgt. In Österreich zum Beispiel, wird dieser starke Alterungsschub schon in den kommenden Jahren spürbar werden, denn die Babyboomer treten ihre Rente an. Diese schwierige Situation wäre durch die gezielte Migration von fachlich guten Arbeitskräften lösbar, doch weder die Industriestaaten im Westen noch Japan oder China werden von dieser Entwicklung verschont.