Die bevorstehende Bundestagswahl könnte auch die Zukunft der deutschen Schuldenbremse beeinflussen. Angesichts der wirtschaftlichen Schwäche Europas gerät die Schuldenbremse zunehmend in die Kritik. Während Länder wie Spanien und Frankreich auf expansive Fiskalpolitik setzen, wird in Deutschland die Begrenzung der Neuverschuldung auf 0,35% des BIP als Hemmnis für dringend benötigte Investitionen gesehen. Vor allem in Bereichen wie Infrastruktur, Energiewende und Digitalisierung gibt es großen Nachholbedarf.
Unsere Fragen an die Experten:
Sollte die Schuldenbremse angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage gelockert werden? Wird eine neue Regierungsmehrheit den politischen Rahmen neu definieren? Welche Reformmodelle wären denkbar? Und welche Auswirkungen hätte eine solche Lockerung auf Wirtschaft, Kapitalmärkte und Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb?

Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege, Fidelity International

Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon

Prof. Dr. Gunther Schnabl, Direktor, Flossbach von Storch Research Institute, Flossbach von Storch SE

Elliot Hentov, Leiter Macro Policy Research, State Street Global Advisors
Aus makroökonomischer Sicht spielt dabei die Ausgabenart eine Rolle. Beispielsweise haben Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur tendenziell höhere fiskalische Multiplikatoren als andere Aufwände. Noch wichtiger ist aber, welche Auswirkungen höhere Ausgaben auf die kurzfristige BIP-Leistung und das potenzielle BIP-Wachstum haben werden. Die Konsensmeinung ist, dass eine CDU-geführte Koalition der Mitte keine signifikante politische Wende bringen wird, da der fiskalische Impuls 2026 weniger als 1% des BIP betragen wird.
Zudem gibt es zu wenig Anzeichen für eine klare Strategie, mit den Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA umzugehen. Die Ironie dabei: Der fiskalische Spielraum ist weiter einer der Vorteile Deutschlands. Die Optimierung dieses Hebels ist damit von entscheidender Bedeutung.

Edgar Walk, Chefvolkswirt, Metzler Asset Management
Gute Schulden finanzieren Projekte wie Infrastruktur, Bildung oder Verteidigung, die langfristig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stärken. Studien zeigen, dass solche Investitionen das Wachstum stimulieren und die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP stabilisieren oder sogar senken können. Schlecht hingegen sind Schulden, die laufende Konsumausgaben decken und keinen nachhaltigen Mehrwert schaffen.
Ein Reformansatz könnte den Deckel des strukturellen Defizits von 0,35% auf 1% des BIP anheben und dabei Investitionen explizit privilegieren. Wichtig wäre eine klare gesetzliche Abgrenzung, um Missbrauch zu verhindern. Eine moderne Schuldenbremse würde Deutschland die nötige finanzielle Flexibilität geben, ohne die langfristige Stabilität zu gefährden. Eine neue Regierungsmehrheit könnte einen solchen Kurs einschlagen, insbesondere wenn SPD oder Grüne an einer Koalition beteiligt sind.

Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa, T. Rowe Price

Stefan Hofrichter, Head of Global Economics & Strategy, Allianz Global Investors GmbH
Gleichwohl erscheint eine Reform der Schuldenbremse notwendig. Deutschland ist in kritischen Bereichen wie Infrastruktur, Digitalisierung und Verteidigung unterinvestiert. Um das Wachstum zu fördern, sollte eine Flexibilisierung der Bremse mit geringeren staatlichen Konsumausgaben und einem Bürokratieabbau einhergehen. Eine Staatsverschuldung von aktuell 63% des BIP bietet fiskalischen Spielraum. Der Sachverständigenrat spricht sich bei Verschuldungsquoten unter 90% für die Möglichkeit höherer Defizite sowie längerer Anpassungsfristen aus.
Die Finanzmärkte würden eine Modifikation vermutlich honorieren. Dennoch ist eine baldige Reform unwahrscheinlich. Eine Grundgesetzänderung erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die bei der absehbaren Parlamentszusammensetzung eher unwahrscheinlich erscheint. Wahrscheinlicher ist daher die Einrichtung neuer Sondervermögen.

Holger Mertens, Head Portfolio Manager – Global Credit, Nikko Asset Management
Umfragen deuten darauf hin, dass sich für eine Lockerung der Schuldenbremse eine Mehrheit im neuen Bundestag finden könnte. Die neue Regierung wird jedoch den finanziellen Spielraum der Bundesländer berücksichtigen müssen, um im Bundesrat die Mehrheit zu erhalten.
Wir halten eine Lockerung der Schuldenbremse für wahrscheinlicher als deren Abschaffung. Eine Lockerung würde die Regierung mit den Mitteln ausstatten, um die dringendsten Probleme anzugehen, wie z.B. die hohen Energiekosten, und um lange vernachlässigte Infrastrukturinvestitionen durchzuführen. Denkbar wäre auch, die Mittel schwerpunktmäßig in Investitionen statt in Steuersenkungen fließen zu lassen.
Eine fiskalpolitische Wende kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn sie mit Reformen einhergeht wie z. B. einer Deregulierung in der Energiepolitik und einer Reformation des Sozialsystems.

Markus Götsch, Rentenfondsmanager bei KEPLER Fonds, KEPLER-FONDS KAG
Kurzum: Eine Lockerung der Schuldenbremse für öffentliche Investitionen in beispielsweise Infrastruktur, Bildung und Forschung sind dringend notwendig und heben mittelfristig das Potenzialwachstum. Eine neue Regierung könnte damit auch einen Vertrauensschub in der Volkswirtschaft auslösen, wie dies aktuell in den USA zu beobachten ist. Betrachtet man die hohen Sparquoten der privaten Haushalte scheint genügend Potenzial vorhanden. Deutschland braucht Zuversicht und Wachstum. Genau das fehlte zuletzt.

Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt, Berenberg
Eine Schuldenbremse im Grundgesetz macht Sinn. Sie zwingt unsere Volksvertreter, Prioritäten zu setzen. Aber das Fiskalkorsett muss passen. Unser Staatshaushalt ist zwar solider finanziert als in nahezu überall sonst. Aber die marode Infrastruktur und kaputtgesparte Bundeswehr zeigen die Schattenseiten des Erfolges.
Seit Putins Angriff auf die Ukraine ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form endgültig aus der Zeit gefallen. Um nach dem Ende des Sonderfonds von €100 Mrd. unsere Militärausgaben auf über 2,5% des BIP anzuheben, statt auf 1,3% zurückzufallen, müsste der Bundeshaushalt Platz von über €50 Milliarden pro Jahr schaffen. Mehr öffentliche Investitionen, mehr Geld für den Klima- und Hochwasserschutz sowie für die Forschung kämen noch dazu. Auch die Körperschaftsteuer muss gesenkt werden, um im Standortwettbewerb bestehen zu können. Ich kann mir keine Koalition vorstellen, die es den Wählern zumuten könnte, andere staatliche Leistungen entsprechend zu kürzen. Deshalb sollte der Sonderfonds für Verteidigung um €200 Mrd aufgestockt und der jährliche Defizitdeckel von 0,3% auf immer noch niedrige 1% des BIP mit Fokus Investitionen angehoben werden. Herr Merz, übernehmen Sie.
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