Economics Forum: Soll die deutsche Schuldenbremse reformiert werden?

Wird die deutsche Schuldenbremse nach der Bundestagswahl gelockert? Experten diskutieren im e-fundresearch.com Economics Forum, ob Reformen notwendig sind und welche Auswirkungen dies auf Investitionen, Wirtschaft und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit hätte. Funds | 24.01.2025 10:40 Uhr

Die bevorstehende Bundestagswahl könnte auch die Zukunft der deutschen Schuldenbremse beeinflussen. Angesichts der wirtschaftlichen Schwäche Europas gerät die Schuldenbremse zunehmend in die Kritik. Während Länder wie Spanien und Frankreich auf expansive Fiskalpolitik setzen, wird in Deutschland die Begrenzung der Neuverschuldung auf 0,35% des BIP als Hemmnis für dringend benötigte Investitionen gesehen. Vor allem in Bereichen wie Infrastruktur, Energiewende und Digitalisierung gibt es großen Nachholbedarf.

Unsere Fragen an die Experten:

Sollte die Schuldenbremse angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage gelockert werden? Wird eine neue Regierungsmehrheit den politischen Rahmen neu definieren? Welche Reformmodelle wären denkbar? Und welche Auswirkungen hätte eine solche Lockerung auf Wirtschaft, Kapitalmärkte und Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb?

Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege, Fidelity International
© Fidelity International

Carsten Roemheld, Kapitalmarktstratege, Fidelity International

Eine Diskussion um die Schuldenbremse wäre gar nicht nötig, wenn man im Bundeshaushalt die richtigen Prioritäten setzen würde. Da dies aber zumindest kurzfristig unrealistisch erscheint, gibt es für eine Modifizierung der Schuldenbremse vor der Hintergrund der aktuellen Herausforderungen kaum Alternativen. Die Investitionsbedürfnisse in den verschiedensten Bereichen sind einfach zu groß geworden, und sie sind eine wesentliche Voraussetzung für Wachstum in der Zukunft. Dieses Wachstum ist notwendig, auch um die steigenden Anforderungen seitens des Staates erfüllen zu können. Dabei sind die Mittel allerdings zwingend ausschließlich für Investitionen und nicht für Konsumausgaben bzw. eine Umverteilung zu verwenden. Nur so kann gewährleistet werden, dass das Kapital rentabel arbeitet und entsprechendes Wachstum generiert. Unter diesen Bedingungen dürften die Effekte auf die Wettbewerbsfähigkeit in der Wirtschaft und auf die Kapitalmärkte sehr positiv zu bewerten sein. Ich vermute stark, dass es nach der Bundestagswahl eine Modifizierung der Schuldenbremse geben wird, halte aber eine solide Finanzpolitik weiterhin für essentiell.
Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon
© Thomas Wieland

Dr. Daniel Hartmann, Chefvolkswirt, Bantleon

Eine behutsame Reformierung der Schuldenbremse im Sinne des Sachverständigenrats ist sinnvoll. So ist bei einer niedrigen Schuldenstandsquote (< 60% des BIP) ein höheres strukturelles Defizit als 0,35% des BIP möglich, ohne die Schuldentragfähigkeit zu gefährden. Außerdem sollte nach einer Notlage das Haushaltsdefizit nur stufenweise wieder zurückgeführt werden. Dem öffentlichen Investitionsstau in Deutschland könnte zusätzlich mit der Auflage eines einmaligen Sondervermögens begegnet werden. Beide Schritte zusammen dürfte sich auch eine CDU geführte Bundesregierung nicht verschließen. Die generelle Kreditfinanzierung von öffentlichen Investitionen ist dagegen abzulehnen, da sie die langfristige Schuldentragfähigkeit infrage stellen würde. Alles in allem würde Deutschland mit einer reformierten, aber weiterhin gültigen Schuldenbremse an einer soliden Haushaltspolitik festhalten. Deutsche Bundesanleihen würden somit nicht abgestraft, sondern ihren Prämienstatus behalten. Es bestünde mithin sogar die Aussicht auf einen langfristig höheren Wachstumspfad. Letzteres würde den deutschen Kapitalmarkt in Gänze für ausländische Investoren wieder attraktiver machen.
Prof. Dr. Gunther Schnabl, Direktor, Flossbach von Storch Research Institute, Flossbach von Storch SE
© Studioline Leipzig

Prof. Dr. Gunther Schnabl, Direktor, Flossbach von Storch Research Institute, Flossbach von Storch SE

Deutschland hat u.a. aufgrund der vernachlässigten Infrastruktur und Verteidigungsbereitschaft einen hohen Finanzierungsbedarf. Kürzungen bei den hohen Staatsausgaben sind politisch heikel. Die Staatsverschuldung als Anteil am BIP ist deutlich niedriger als in Spanien, Frankreich und Italien. Geht man zudem davon aus, dass die Staatsverschuldung im Euroraum langfristig ohnehin vergemeinschaftet wird, dann ist die Lockerung bzw. Umgehung der Schuldenbremse durch Schattenhaushalte wahrscheinlich. Der Reformdruck bei Staat und Unternehmen würde gedämpft, was die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands weiter schädigen würde. Bei einer schuldenfinanzierten Investitionsoffensive würde – ähnlich wie infolge der Wiedervereinigung – der Abzug von deutschem Kapital die Nachbarländer wirtschaftlich destabilisieren. Die Zinsen auf Staatsanleihen im Euroraum würden steigen, sodass sich die EZB zu neuen Staatsanleihekäufen gezwungen sehen dürfte. Da der letzte Stabilitätsanker im Euroraum verloren gehen und die Inflation steigen dürften, dürften sich Kapitalflucht und Euroabwertung beschleunigen. Die Aufweichung der deutschen Schuldenbremse könnte einen neuen Stabilitätstest für den Euro nach sich ziehen.
Elliot Hentov, Leiter Macro Policy Research, State Street Global Advisors
© State Street Global Advisors

Elliot Hentov, Leiter Macro Policy Research, State Street Global Advisors

Die allgemeine Finanzlage wird sich nach den Wahlen wahrscheinlich entspannen, auch wenn die Schuldenbremse formal intakt bleibt oder nur geringfügig angepasst wird. Die Märkte erwarten hier, dass Deutschland außerbudgetäre oder andere Instrumente zur Erhöhung öffentlicher Ausgaben nutzen wird, um den Anschein einer unveränderten Schuldenbremse zu wahren.
Aus makroökonomischer Sicht spielt dabei die Ausgabenart eine Rolle. Beispielsweise haben Ausgaben für Verteidigung und Infrastruktur tendenziell höhere fiskalische Multiplikatoren als andere Aufwände. Noch wichtiger ist aber, welche Auswirkungen höhere Ausgaben auf die kurzfristige BIP-Leistung und das potenzielle BIP-Wachstum haben werden. Die Konsensmeinung ist, dass eine CDU-geführte Koalition der Mitte keine signifikante politische Wende bringen wird, da der fiskalische Impuls 2026 weniger als 1% des BIP betragen wird.
Zudem gibt es zu wenig Anzeichen für eine klare Strategie, mit den Herausforderungen für die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber China und den USA umzugehen. Die Ironie dabei: Der fiskalische Spielraum ist weiter einer der Vorteile Deutschlands. Die Optimierung dieses Hebels ist damit von entscheidender Bedeutung.
Edgar Walk, Chefvolkswirt, Metzler Asset Management
© Metzler Asset Management

Edgar Walk, Chefvolkswirt, Metzler Asset Management

Deutschlands explizite Staatsschulden sind im internationalen Vergleich zwar niedrig, doch die rigide Regelung der Schuldenbremse verhindert wichtige Zukunftsinvestitionen. Dabei gilt es, zwischen "guten" Schulden für Investitionen und "schlechten" Schulden klar zu unterscheiden.

Gute Schulden finanzieren Projekte wie Infrastruktur, Bildung oder Verteidigung, die langfristig die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit stärken. Studien zeigen, dass solche Investitionen das Wachstum stimulieren und die Schuldenquote im Verhältnis zum BIP stabilisieren oder sogar senken können. Schlecht hingegen sind Schulden, die laufende Konsumausgaben decken und keinen nachhaltigen Mehrwert schaffen.

Ein Reformansatz könnte den Deckel des strukturellen Defizits von 0,35% auf 1% des BIP anheben und dabei Investitionen explizit privilegieren. Wichtig wäre eine klare gesetzliche Abgrenzung, um Missbrauch zu verhindern. Eine moderne Schuldenbremse würde Deutschland die nötige finanzielle Flexibilität geben, ohne die langfristige Stabilität zu gefährden. Eine neue Regierungsmehrheit könnte einen solchen Kurs einschlagen, insbesondere wenn SPD oder Grüne an einer Koalition beteiligt sind.
Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa, T. Rowe Price
© T. Rowe Price

Tomasz Wieladek, Chefvolkswirt für Europa, T. Rowe Price

Deutschland hat in den letzten zwei Jahren eine hohe Inflation und gleichzeitig kein Wachstum verzeichnet. Dies wird den etablierten Parteien schaden und kleinere Parteien begünstigen. Es ist daher wahrscheinlich, dass es im Bundestag eine Sperrminorität geben wird. Das bedeutet, dass selbst wenn eine Regierung die Schuldenbremse reformieren möchte, sie nicht die erforderliche Zweidrittelmehrheit im Bundestag erhalten wird. Ich glaube, dass die Wahrscheinlichkeit, dass es zu keiner Reform der Schuldenbremse kommt, bei 60% liegt. Sollte es aber doch dazu kommen, dann ist die sinnvollste Reform die, die von einem breiten politischen Konsens getragen wird. Dies wäre wahrscheinlich eine Anhebung der Neuverschuldung auf maximal 1,5%. Die aufgenommenen Mittel dürfen nur für öffentliche Investitionen ausgegeben werden und ein Expertengremium entscheidet über die Verwendung der Mittel. Ein solcher Ansatz hätte die größte wirtschaftliche Wirkung, um dem dringenden Bedarf Deutschlands an öffentlichen Investitionen gerecht zu werden und die internationale Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands deutlich zu verbessern.
Stefan Hofrichter, Head of Global Economics & Strategy, Allianz Global Investors GmbH
© Allianz Global Investors GmbH

Stefan Hofrichter, Head of Global Economics & Strategy, Allianz Global Investors GmbH

Die seit 2009 im Grundgesetz verankerte Schuldenbremse begrenzt die Neuverschuldung des Bundes auf derzeit ca. 15 Mrd. € (0,35% des BIP), erlaubt dabei aber zyklisch- oder Krisen-bedingte Abweichungen. Grundsätzlich ist eine Begrenzung der Kreditaufnahme sinnvoll, da eine hohe Staatsverschuldung langfristig das Wachstum hemmt.
Gleichwohl erscheint eine Reform der Schuldenbremse notwendig. Deutschland ist in kritischen Bereichen wie Infrastruktur, Digitalisierung und Verteidigung unterinvestiert. Um das Wachstum zu fördern, sollte eine Flexibilisierung der Bremse mit geringeren staatlichen Konsumausgaben und einem Bürokratieabbau einhergehen. Eine Staatsverschuldung von aktuell 63% des BIP bietet fiskalischen Spielraum. Der Sachverständigenrat spricht sich bei Verschuldungsquoten unter 90% für die Möglichkeit höherer Defizite sowie längerer Anpassungsfristen aus.
Die Finanzmärkte würden eine Modifikation vermutlich honorieren. Dennoch ist eine baldige Reform unwahrscheinlich. Eine Grundgesetzänderung erfordert eine Zwei-Drittel-Mehrheit, die bei der absehbaren Parlamentszusammensetzung eher unwahrscheinlich erscheint. Wahrscheinlicher ist daher die Einrichtung neuer Sondervermögen.
Holger Mertens, Head Portfolio Manager – Global Credit, Nikko Asset Management
© Nikko AM

Holger Mertens, Head Portfolio Manager – Global Credit, Nikko Asset Management

Angesichts von zwei Jahren mit negativem Wachstum ist eine fiskalpolitische Unterstützung sinnvoll. Dank der niedrigen Verschuldung Deutschlands verfügt das Land über den notwendigen Handlungsspielraum, um die Wirtschaft anzukurbeln.

Umfragen deuten darauf hin, dass sich für eine Lockerung der Schuldenbremse eine Mehrheit im neuen Bundestag finden könnte. Die neue Regierung wird jedoch den finanziellen Spielraum der Bundesländer berücksichtigen müssen, um im Bundesrat die Mehrheit zu erhalten.

Wir halten eine Lockerung der Schuldenbremse für wahrscheinlicher als deren Abschaffung. Eine Lockerung würde die Regierung mit den Mitteln ausstatten, um die dringendsten Probleme anzugehen, wie z.B. die hohen Energiekosten, und um lange vernachlässigte Infrastrukturinvestitionen durchzuführen. Denkbar wäre auch, die Mittel schwerpunktmäßig in Investitionen statt in Steuersenkungen fließen zu lassen.

Eine fiskalpolitische Wende kann allerdings nur erfolgreich sein, wenn sie mit Reformen einhergeht wie z. B. einer Deregulierung in der Energiepolitik und einer Reformation des Sozialsystems.
Markus Götsch, Rentenfondsmanager bei KEPLER Fonds, KEPLER-FONDS KAG
© KEPLER-FONDS KAG

Markus Götsch, Rentenfondsmanager bei KEPLER Fonds, KEPLER-FONDS KAG

Im Vergleich mit den weiteren G7-Ländern ist und bleibt Deutschland ein Musterschüler, was die öffentliche Haushaltspolitik betrifft - sicherlich ein Verdienst der Schuldenbremse. Das Umfeld hat sich jedoch verändert. In den USA beginnt eine neue Präsidentschaft, wo die hohen Überschüsse in der Leistungsbilanz von Deutschland nicht unbedingt positiv gesehen werden. Jahrelang profitierte man am Aufschwung in China – auch dieser Prozess scheint auszulaufen. Nicht zuletzt durch den Konflikt in der Ukraine scheint die Friedensdividende der Vergangenheit anzugehören.

Kurzum: Eine Lockerung der Schuldenbremse für öffentliche Investitionen in beispielsweise Infrastruktur, Bildung und Forschung sind dringend notwendig und heben mittelfristig das Potenzialwachstum. Eine neue Regierung könnte damit auch einen Vertrauensschub in der Volkswirtschaft auslösen, wie dies aktuell in den USA zu beobachten ist. Betrachtet man die hohen Sparquoten der privaten Haushalte scheint genügend Potenzial vorhanden. Deutschland braucht Zuversicht und Wachstum. Genau das fehlte zuletzt.
Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt, Berenberg
© Berenberg

Dr. Holger Schmieding, Chefvolkswirt, Berenberg

Für eine bessere Schuldenbremse
Eine Schuldenbremse im Grundgesetz macht Sinn. Sie zwingt unsere Volksvertreter, Prioritäten zu setzen. Aber das Fiskalkorsett muss passen. Unser Staatshaushalt ist zwar solider finanziert als in nahezu überall sonst. Aber die marode Infrastruktur und kaputtgesparte Bundeswehr zeigen die Schattenseiten des Erfolges.
Seit Putins Angriff auf die Ukraine ist die Schuldenbremse in ihrer jetzigen Form endgültig aus der Zeit gefallen. Um nach dem Ende des Sonderfonds von €100 Mrd. unsere Militärausgaben auf über 2,5% des BIP anzuheben, statt auf 1,3% zurückzufallen, müsste der Bundeshaushalt Platz von über €50 Milliarden pro Jahr schaffen. Mehr öffentliche Investitionen, mehr Geld für den Klima- und Hochwasserschutz sowie für die Forschung kämen noch dazu. Auch die Körperschaftsteuer muss gesenkt werden, um im Standortwettbewerb bestehen zu können. Ich kann mir keine Koalition vorstellen, die es den Wählern zumuten könnte, andere staatliche Leistungen entsprechend zu kürzen. Deshalb sollte der Sonderfonds für Verteidigung um €200 Mrd aufgestockt und der jährliche Defizitdeckel von 0,3% auf immer noch niedrige 1% des BIP mit Fokus Investitionen angehoben werden. Herr Merz, übernehmen Sie.

Verwenden Sie die Pfeiltasten ← →, um durch die Interviewgalerie zu navigieren, oder wischen Sie auf Mobilgeräten nach Belieben.

Teil 2 der Experten-Umfrage erscheint am Dienstag den 28. 1. mit Kommentaren von Shareholder Value Management, Janus Henderson Investors und M&G Investments.

Ebenfalls spannend:

Performanceergebnisse der Vergangenheit lassen keine Rückschlüsse auf die zukünftige Entwicklung eines Investmentfonds oder Wertpapiers zu. Wert und Rendite einer Anlage in Fonds oder Wertpapieren können steigen oder fallen. Anleger können gegebenenfalls nur weniger als das investierte Kapital ausgezahlt bekommen. Auch Währungsschwankungen können das Investment beeinflussen. Beachten Sie die Vorschriften für Werbung und Angebot von Anteilen im InvFG 2011 §128 ff. Die Informationen auf www.e-fundresearch.com repräsentieren keine Empfehlungen für den Kauf, Verkauf oder das Halten von Wertpapieren, Fonds oder sonstigen Vermögensgegenständen. Die Informationen des Internetauftritts der e-fundresearch.com AG wurden sorgfältig erstellt. Dennoch kann es zu unbeabsichtigt fehlerhaften Darstellungen kommen. Eine Haftung oder Garantie für die Aktualität, Richtigkeit und Vollständigkeit der zur Verfügung gestellten Informationen kann daher nicht übernommen werden. Gleiches gilt auch für alle anderen Websites, auf die mittels Hyperlink verwiesen wird. Die e-fundresearch.com AG lehnt jegliche Haftung für unmittelbare, konkrete oder sonstige Schäden ab, die im Zusammenhang mit den angebotenen oder sonstigen verfügbaren Informationen entstehen.

Melden Sie sich für den kostenlosen Newsletter an

Regelmäßige Updates über die wichtigsten Markt- und Branchenentwicklungen mit starkem Fokus auf die Fondsbranche der DACH-Region.

Der Newsletter ist selbstverständlich kostenlos und kann jederzeit abbestellt werden.