Natixis IM Stratege Melson: „Viele US-Anleger haben Europa lange ignoriert“

Im Rahmen der unabhängigen USA-Tripnotes-Recherchemission von e-fundresearch.com trafen Chefredakteur Simon Weiler und Marktstrategin Monika Rosen-Philipp den Portfolioexperten Garrett Melson in Boston. Im Gespräch erläutert der Stratege von Natixis Investment Managers Solutions, warum die Märkte US-Stärke unterschätzen, wieso Europas Aufschwung nicht überschätzt werden sollte und welche Narrative Anleger 2025 besonders kritisch hinterfragen sollten. Markets | 12.08.2025 12:50 Uhr
Die e-fundresearch.com Redaktion (Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler) zu Gast bei Natixis Investment Managers Solutions Experten Garrett Melson in Boston. / © e-fundresearch.com
Die e-fundresearch.com Redaktion (Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler) zu Gast bei Natixis Investment Managers Solutions Experten Garrett Melson in Boston. / © e-fundresearch.com

US-Markt: Stimmung schlechter als die Faktenlage

e-fundresearch.com: Herr Melson, viele Marktkommentatoren stellen 2025 in Frage, ob das Konzept des „US-Exceptionalism“ überhaupt noch gilt. Teilen Sie diese Skepsis?

Garrett Melson: Ich denke, es ist wichtig, erst einmal zu klären, was wir überhaupt unter US-Exceptionalism verstehen. Wenn man das nur an kurzfristigen Aktienrenditen oder Wechselkursen misst, dann scheinen die Zweifel nachvollziehbar. Aber das greift zu kurz. Die langfristigen strukturellen Vorteile der USA als Investmentstandort sind weiterhin vorhanden. Der Kapitalmarkt ist tief und effizient, die Innovationsdynamik – insbesondere im Tech-Sektor – bleibt intakt. Ja, es gab politische Unsicherheiten, und das Sentiment ist schlechter geworden, aber das bedeutet nicht, dass die Grundlagen verschwunden sind. Viele Übertreibungen in der aktuellen Debatte sind eher politisch als fundamental motiviert.

Dollar unter Druck: Positionierung statt Kapitalflucht

e-fundresearch.com: Die Dollar-Schwäche hat den relativen Performancevorteil Europas verstärkt. Wie viel Fundament und wie viel Positionierung steckt in dieser Entwicklung?

Garrett Melson: Aus unserer Sicht ist das eine klassische Übertreibung der Positionierung. Viele Anleger waren zu Jahresbeginn auf einen stärkeren Dollar eingestellt. Wenn sich dann gewisse Narrative – etwa der Wachstumsunterschied zwischen den USA und Europa – annähern, reicht das oft schon, um Bewegungen auszulösen. Wichtig ist aber: Wir sehen keine massiven Kapitalabflüsse aus den USA, sondern vielmehr eine Marginalverschiebung der Allokationen. Die Zinsschere besteht weiterhin, auch real betrachtet. Ich halte eine Stabilisierung oder sogar leichte Dollar-Stärkung in der zweiten Jahreshälfte für durchaus möglich.

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Europa: Rebalancing statt Strategiewechsel

e-fundresearch.com: Europäische Aktien erleben 2025 einen Aufschwung. Wird das auch von US-Investoren mitgetragen oder ist das eine europäische Binnenwahrnehmung?

Garrett Melson: Das Thema ist auch bei US-Investoren präsent – aber differenziert. Wir sehen keine massiven strategischen Allokationswechsel zugunsten Europas, aber durchaus ein taktisches Zurückfahren der strukturellen Untergewichtung. Viele US-Anleger haben Europa lange ignoriert, und das wurde durch die Underperformance verstärkt. Die aktuelle Performance bringt etwas Aufmerksamkeit zurück, aber man sollte sich keine Illusionen machen: Wenn US-Tech wieder dominiert, kehrt der Fokus sehr schnell wieder zu den US-Aktienmärkten zurück. Europa hat ein Zeitfenster, aber es braucht substanzielle Fortschritte – etwa bei Kapitalmarktintegration oder Innovationsförderung –, um daraus mehr zu machen als nur ein taktisches Intermezzo.

Politik und Märkte: Weniger Schockeffekte als erwartet

e-fundresearch.com: Die zweite Trump-Administration sorgt für Unsicherheit. Welche realwirtschaftlichen Auswirkungen sehen Sie bislang?

Garrett Melson: Viele hatten erwartet, dass Trump diesmal wie in seiner ersten Amtszeit auf Wachstumsimpulse setzen würde – stattdessen ist das Gegenteil eingetreten. Die Handelspolitik kam zuerst und belastet das Sentiment und das Wachstum. Auch die Tonalität war deutlich aggressiver als in seiner ersten Amtszeit. Allerdings sehen wir bereits eine gewisse Mäßigung. Der Fokus verlagert sich nun stärker auf Deregulierung und fiskalische Impulse. Die Märkte haben gelernt, mit disruptiver Rhetorik umzugehen. Gleichwohl nagt sie am Wachstum. Und viele der Maßnahmen der Regierung– etwa aus dem sogenannten „Big Beautiful Bill Act“ – werden wohl deutlich weniger konjunkturelle Wirkung entfalten als gedacht. Der reale Wachstumsimpuls ist schwächer als die Schlagzeilen suggerieren.

Wachstum, Konsum und das Hypotheken-Dilemma

e-fundresearch.com: Wie robust ist das US-Wachstum im weiteren Jahresverlauf – insbesondere mit Blick auf Konsum und Arbeitsmarkt?

Garrett Melson: Die Binnenwirtschaft kühlt sich ab, aber sie bricht nicht ein. Der Arbeitsmarkt schwächt sich ab, und sofern keine politischen Maßnahmen ergriffen werden, die wahrscheinlich fortgesetzt werden, wird dies für den Rest des Jahres zu einem Wachstum unterhalb des Trends führen. Besonders interessant ist, dass viele US-Haushalte auf sehr günstigen Langfrist-Hypotheken sitzen – teils mit festen Zinssätzen unter 3%. Dieses „goldene Handschellen“-Phänomen bedeutet, dass Eigentümer von stabilen Wohnkosten profitiert haben, obwohl die Hypothekenzinsen dramatisch gestiegen sind. Dies geht jedoch zu Lasten der Mobilität: Sie zögern, umzuziehen oder ihre Hypothek umzuschulden. Die eingeschränkte Mobilität sowie der steigende Bestand an fertiggestellten Wohnungen wirken sich negativ auf die Investitionen in Wohnimmobilien und den Konsum aus.

Gleichzeitig steigt mit den neuen Kreditverträgen der Anteil der ausstehenden Verträge mit Zinsen jenseits der 6%, was weiteren Druck auf den privaten Konsum ausübt. Das ist kein rezessives Umfeld, aber eines, das vorsichtige Erwartungen rechtfertigt. Ich sehe Raum für eine temporäre Korrektur an den Märkten, bevor es 2026 wieder zu einer besseren Dynamik kommt.

e-fundresearch.com: Vielen Dank für das Gespräch, Herr Melson!

Das Interview führten Monika Rosen-Philipp und Simon Weiler am 02.07.2025 im Natixis Investment Managers Office in Boston.

Über Garrett Melson

Garrett Melson ist Portfolio Strategist bei Natixis Investment Managers Solutions in Boston. Er ist Mitglied des Investment Committee, das die Kapitalmarktausblicke und taktischen Allokationsentscheidungen des Hauses mitgestaltet. Zuvor war er u. a. bei Wellington Management und Fidelity Investments tätig. Melson hält einen MBA der Northeastern University und einen BA von Boston College. Er ist CFA®-Charterholder und Mitglied der CFA Society Boston.

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