"Die EZB bleibt noch für einen längeren Zeitraum bei ihrem sehr expansiven, geldpolitischen Kurs. Die Diagnose der EZB zur wirtschaftlichen Lage in der Eurozone weist keine strategische Veränderung auf. Die Erholung verstärke sich, und die Risiken seien jetzt weitgehend ausgeglichen. Doch die Inflationsrate liege weiterhin deutlich unter dem Ziel der EZB von knapp unter 2 %. Der niedrige Ölpreis, so die EZB, tauge nicht als alleinige Erklärung – auch die Kerninflationsrate liege weiterhin nahe 1 %. Draghi schätzt, dass die Inflation in den kommenden Monaten um das aktuelle Niveau von 1,3 % schwanken wird. Daher erwartet die Europäische Zentralbank nicht, dass das Ziel in vorhersehbarer Zukunft erreicht wird. Mit anderen Worten: Die realwirtschaftliche Erholung ist stark, führt aber bislang kaum zu Nominalwachstum. Solange die Inflationsrate niedrig bleibt, wird die ultralockere Geldpolitik fortgesetzt. Die EZB wird weiterhin in großem Maßstab Wertpapiere kaufen, bis die langfristigen Inflationserwartungen im Zielkorridor liegen. Eine vorzeitige Kursänderung für den Fall, dass die Inflation in den kommenden Monaten anziehen sollte, ist ebenfalls eine Option, würde aber dem Rollenverständnis der EZB eher widersprechen.
Ich sehe in der EZB-Mitteilung keine Hinweise darauf, dass sich die Geldpolitik in Zukunft ändern wird. Wer auf der EZB-Konferenz im portugiesischen Sintra eine neue Botschaft zu vernehmen glaubte, hat sich geirrt. Über das Programm zum Ankauf von Vermögenswerten wird im Herbst verhandelt (wahrscheinlich im September), denn das aktuelle Programm soll im Dezember auslaufen, falls die langfristigen Inflationserwartungen bei annähernd 2 % liegen oder die tatsächliche Inflationsrate nahe bei diesem Ziel liegt. Der Umfang des Programms, momentan 60 Milliarden Euro im Monat, wird 2018 wahrscheinlich reduziert werden, da die Erholung stark ist. Ein konkretes Datum für das Auslaufen wird aber wohl erst verkündet, wenn die Inflationsrate von 2 % in Sicht ist. Wir rechnen mit einem Umfang von 30 oder 40 Milliarden Euro nach Dezember 2017.
Die EZB hat keine Eile, ihren geldpolitischen Kurs zu ändern, da sich eine solche Änderung asymmetrisch auswirkt. Eine zu rasche Wende würde ein Risiko für die Erholung darstellen und damit den Wünschen der EZB für die wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone entgegenlaufen. Die Zentralbank kann auf eine höhere Inflationsrate warten, bevor sie diesen Schritt vornimmt. Ziel der EZB muss ein stärkeres und eigenständigeres Wachstum sein, das getragen ist von der privaten Inlandsnachfrage. Eine über einen längeren Zeitraum fortgeführte expansive Geldpolitik ist dafür weiterhin das beste Rezept."