Die widersprüchliche Natur der Zinspolitik und Liquiditätspolitik der EZB

Im aktuellen "Flash Économie" analysiert Patrick Artus, Senior Economic Advisor bei Ossiam, einen bislang kaum thematisierten Zielkonflikt innerhalb der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank: Einerseits senkt die EZB mit einem Einlagensatz von 2% bewusst die kurzfristigen Realzinsen – andererseits reduziert sie ihre Bilanz aggressiv, was die langfristigen Zinsen in die Höhe treibt. Steht sich die EZB mit ihrer eigenen Politik selbst im Weg? Natixis Investment Managers | 30.06.2025 14:09 Uhr
Patrick Artus – Senior Economic Advisor, Ossiam / © e-fundresearch.com / Ossiam
Patrick Artus – Senior Economic Advisor, Ossiam / © e-fundresearch.com / Ossiam

Mit einem Einlagensatz von 2% verfolgt die Europäische Zentralbank (EZB) derzeit eine expansive Zinspolitik – zumal die Kerninflation im Mai 2025 bei 2,4% lag. Diese expansiv ausgerichtete Politik ist angesichts der rückläufigen Inflation und der Aussicht auf schwaches Wachstum gerechtfertigt.

Gleichzeitig verkleinert die EZB aber weiterhin zügig ihre Bilanz (seit November 2022 um 1.900 Milliarden Euro – also ein quantitativer Liquiditätsentzug), was zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen führt. Schätzungen zufolge bewirkt ein Abbau der EZB-Bilanz um 1.000 Milliarden Euro einen Anstieg der 10-jährigen Eurozonen-Zinsen um rund 35 Basispunkte¹.

Warum dieser Widerspruch zwischen Zins- und Liquiditätspolitik der EZB?

Wenn das erwartete Wachstum tatsächlich schwach ist und die Inflation zunehmend in den Hintergrund tritt, erscheint es kontraproduktiv, eine Politik zu verfolgen, die langfristige Zinsen weiter steigen lässt.

Expansive Zinspolitik auf kurze Sicht

Der Einlagensatz der EZB liegt derzeit bei 2%. Dies stellt angesichts einer Kerninflation von 2,4% im Mai 2025 eine expansive Geldpolitik dar – denn der reale Kurzfristzins ist negativ und liegt unter dem Wachstumsniveau, sowohl kurz- als auch langfristig.

Diese geldpolitische Lockerung ist durch die sinkende Inflation und die geringen Wachstumserwartungen gerechtfertigt. Der aktuelle Konsens rechnet für das Jahr 2025 mit einem Wachstum von lediglich 0,6 bis 0,7%.

Restriktive Liquiditätspolitik

Gleichzeitig reduziert die EZB ihre Bilanz weiterhin stark – seit November 2022 um 1.900 Milliarden Euro, was unter dem Begriff „Quantitative Tightening“ (QT) läuft.

Laut eigenen Berechnungen der EZB führt ein Bilanzabbau von 1 Billion Euro zu einem Anstieg der langfristigen Zinsen um etwa 35 Basispunkte. Die Liquiditätspolitik der EZB ist also seit November 2022 zunehmend restriktiv.

Zwar ist die EZB-Bilanzsumme mit derzeit 4.500 Milliarden Euro noch grösser als Anfang 2020 (damals 3.100 Milliarden Euro), doch seit dem Höhepunkt Ende 2022 wurde sie bereits um 1.900 Milliarden Euro reduziert.

Zusammenfassung: Widerspruch zwischen Zins- und Liquiditätspolitik

Während die Zinspolitik der EZB auf kurze Sicht expansiv ist, verfolgt sie auf der Liquiditätsseite eine restriktive Strategie. Dabei sind es die langfristigen Zinsen, die Investitionen – etwa im Wohnungsbau und in Unternehmen – sowie den Verlauf der Staatsverschuldungsquote massgeblich beeinflussen.

Wenn die EZB tatsächlich davon ausgeht, dass Inflation kein akutes Problem mehr darstellt, das Wachstum schwach bleiben wird und zugleich erhebliche Investitionen bevorstehen – etwa für die Energiewende, den digitalen Wandel oder die Finanzierung disruptiver Innovationen –, ist es unlogisch, an einer Liquiditätspolitik festzuhalten, die langfristige Zinsen weiter nach oben treibt.

Von Patrick Artus – Senior Economic Advisor, Ossiam

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¹ Quelle: Akkaya R., Hutchinson J., Jørgensen K., und Skeppås E. (2024): Quantitative Tightening: How do shrinking Eurosystem bond holdings affect long-term interest rates?, ECB-Blog ecb.blog241114

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