Endlich! So oder so ähnlich mag es dem US-Präsidenten durch den Kopf gegangen sein, als die US-Notenbank ihre weithin erwartete Leitzinssenkung um 25 Basispunkte bekannt gab. Bemerkenswert dabei: Trotz des politischen Drucks in den vergangenen Monaten sprach sich nur ein einziges Mitglied des geldpolitischen Ausschusses – Stephen Miran – für eine Zinssenkung um 50 Basispunkte aus. Die geschlossene Haltung, auch der als eher restriktiv bekannten Gouverneure Waller und Bowman, ist ein positives Signal. Denn die Aufgabe der Fed bleibt anspruchsvoll: Sie muss den Spagat schaffen zwischen einem sich abschwächenden Arbeitsmarkt und einer weiterhin erhöhten Inflation.
Versicherung gegen makroökonomische Risiken
Wie schon im September 2024 verfolgt der Offenmarktausschuss der Fed eine Art Versicherungsstrategie gegen potenzielle wirtschaftliche Risiken. Die Parallelen zur damaligen Lage drängen sich auf: Im Sommer 2024 mehrten sich die Anzeichen für eine konjunkturelle Schwäche, die letztlich durch das Eingreifen der Notenbank begrenzt wurde. Auch aktuell spricht vieles für ein "Soft Landing" – unterstützt durch die Lockerung der Finanzierungsbedingungen infolge sinkender kurzfristiger Zinsen weltweit und rückläufiger Ölpreise. Dieses Szenario wird mittlerweile von einer Mehrheit der Anleger1 bevorzugt.
Rekordstände an den US-Börsen
Die Reaktion der Märkte ließ nicht lange auf sich warten: Die drei großen US-Indizes markierten am Tag nach der Fed-Entscheidung neue Allzeithochs – befeuert durch massive Mittelzuflüsse in Höhe von 57,7 Milliarden US-Dollar, dem größten Kapitalstrom seit Dezember 2024. Auch wenn Märkte in den zwölf Monaten nach einer ersten Zinssenkung ohne Rezession im historischen Mittel um rund 15% zulegen, erscheint kurzfristige Vorsicht angesichts technischer Faktoren angebracht. So lag das tägliche Handelsvolumen von Call-Optionen2 auf den S&P 500 in den letzten 20 Handelstagen im Schnitt bei 40 Millionen Kontrakten – ein Rekordwert. Und der RSI3 des globalen Aktienindex befindet sich erneut im überkauften Bereich.
Sektorrotation rückt in den Fokus
Entscheidend dürfte künftig die Sektorallokation sein. Historisch gesehen entwickelt sich der Energiesektor nach geldpolitischen Lockerungen unterdurchschnittlich – eine Tendenz, die sich angesichts zusätzlicher OPEC-Barrels und schwacher chinesischer Nachfrage fortsetzen dürfte. Umgekehrt zählen Banktitel in solchen Phasen häufig zu den Gewinnern. Besonders in Europa könnten Finanzwerte von der aktuellen Konstellation profitieren – nicht zuletzt wegen der geldpolitischen Zurückhaltung der EZB. Eine derart ausgeprägte Asynchronität zwischen Fed und EZB ist selten (seit 1990 in nur 20% der Zeiträume zu beobachten).
Der traditionell defensive Pharmasektor ist aktuell Spielball politischer Preisdebatten. Die US-Regierung hat im Vorfeld der Zwischenwahlen die Senkung von Medikamentenpreisen zur Priorität erklärt – jüngstes Beispiel: der Deal von Pfizer. Der Technologiesektor wiederum zählt historisch ebenfalls zu den Profiteuren geldpolitischer Wendepunkte. Doch diesmal dürfte der strukturelle Rückenwind durch generative KI die Zinssensitivität überlagern.
Obligationen: Ein Sonderfall
Im Anleihebereich stößt der historische Vergleich an Grenzen. Zwar zeigen Mediananalysen rückläufige Renditen für 10-jährige US-Staatsanleihen drei bis sechs Monate nach einer ersten Zinssenkung. Doch das enorme Emissionsvolumen zur Defizitfinanzierung sowie der Wiederaufbau der Term-Prämie dürften den Druck auf die langen Laufzeiten hochhalten – eine Entwicklung, die möglicherweise in ein umgekehrtes „Conundrum“4 mündet, um einen Begriff von Ex-Fed-Chef Alan Greenspan aufzugreifen.
Patience, Prudence, Perseverance
Auf ihrer jüngsten Sitzung hob die Fed ihre Inflationsprojektion für das Jahr 2026 leicht an (Preisindex für private Konsumausgaben: +2,6%, +20 Basispunkte). Angesichts eines Spannungsfelds zwischen robustem Arbeitsmarkt und nur moderat nachlassender Teuerung betonte die Notenbank ihren risikobasierten Steuerungsansatz – mit dem Ziel, sich einem neutralen Zinsniveau anzunähern. Oder anders formuliert: Die Fed folgt der Regel der „3P“ – Patience, Prudence, Perseverance. Eine Maxime, die sich auch Anleger zu eigen machen sollten, um möglichen Volatilitätsschüben im außergewöhnlichen Schlussquartal dieses Jahres gewappnet zu begegnen.
Von Pierre Pincemaille, DNCA Investments, Teil von Natixis Investment Managers
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