Teil 2 | Economics Forum: Soll die deutsche Schuldenbremse reformiert werden?

Funds | 28.01.2025 12:55 Uhr

Wird die deutsche Schuldenbremse nach der Bundestagswahl gelockert? Experten diskutieren im e-fundresearch.com Economics Forum, ob Reformen notwendig sind und welche Auswirkungen dies auf Investitionen, Wirtschaft und Deutschlands Wettbewerbsfähigkeit hätte.

Unsere Fragen an die Experten:

Sollte die Schuldenbremse angesichts der aktuellen wirtschaftlichen Lage gelockert werden? Wird eine neue Regierungsmehrheit den politischen Rahmen neu definieren? Welche Reformmodelle wären denkbar? Und welche Auswirkungen hätte eine solche Lockerung auf Wirtschaft, Kapitalmärkte und Deutschlands Position im internationalen Wettbewerb?

Dr. Hendrik Leber, Geschäftsführer, ACATIS Investment KVG mbH
© ACATIS Investment KVG mbH

Dr. Hendrik Leber, Geschäftsführer, ACATIS Investment KVG mbH

Mein Vertrauen in das Haushalten des Staates ist verloren. Investitionen in die Zukunft sollte besser der private Sektor tätigen. Mit Schulden die Konjunktur anzukurbeln ist sinnvoll, wenn Jahre mit Überschüssen sich mit Jahren der Kreditaufnahme abwechseln. Aber fast alle Staaten sind zu einer Dauer-Kreditaufnahme übergegangen. Das kann sinnvoll sein, wenn vernünftig investiert wird – wie ein Unternehmen, das einen Kredit aufnimmt, wenn die Investitionsrenditen über den Kreditzinsen liegen. Besonders der deutsche Staat hat aber oft versagt. Er nutzt den öffentl. Haushalt vor allem für Umverteilungen und nicht für zukunftsweisende Projekte. Problematisch ist zudem, dass mit einem Großteil dieser Gelder nicht die Bildung oder Innovationen gefördert werden, sondern Nicht-Arbeitstätige. Für eine neue Infrastruktur in Deutschland braucht es Geld/ Schulden. Doch die Frage ist: Wie groß ist unser Vertrauen in den deutschen Staat, die notwendigen Investitionen umzusetzen? Wenn das Geld ohnehin aufgebracht werden muss, sollte der Privatsektor diese Investitionen übernehmen und der Staat könnte eine Ausfallgarantie geben. Er sollte aber nicht der Entscheidungsträger für die Projekte sein.
Jörn Quitzau, Chefökonom, Bergos AG
© Bergos

Jörn Quitzau, Chefökonom, Bergos AG

Die Schuldenbremse ist eine Erfolgsgeschichte. Bis sie im Umfeld der globalen Finanzkrise eingeführt wurde, kannte die Staatsverschuldung in Deutschland nur eine Richtung: nach oben. Erst danach gelang es, die Schuldenquote von 80 auf 60 Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) zu senken.
Ohne die finanzpolitische Stärke von Ländern wie Deutschland hätte die Währungsunion während der Eurokrise kaum stabilisiert werden können. Finanzpolitisch unsolide Länder wie Frankreich und Italien dürfen deshalb kein Vorbild sein. Im Gegenteil: Die Stabilitätskultur sollte zum Vorbild werden.
Dass solide Staatsfinanzen keine Zukunftsbremse sein müssen, zeigt die Schweiz. Sie steht auch dank ihrer Schuldenbremse für Stabilität. Die Infrastruktur ist trotz niedriger Staatsschulden (33 Prozent des BIP) bestens ausgebaut.
Die Schuldenbremse dürfte in Deutschland nach der Wahl gelockert werden. Das zulässige strukturelle Defizit (derzeit 0,35 Prozent des BIP) könnte so angepasst werden, dass die Schuldenstandquote nur bis zur stabilitätspaktkonformen Marke von 60 Prozent des BIP, aber nicht darunter sinkt. Eine Reform der Schuldenbremse sollte jedoch erst nach Beschluss eines umfassenden Wachstumspaketes erfolgen.
Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management
© Shareholder Value Management

Heiko Böhmer, Kapitalmarktstratege, Shareholder Value Management

Im Endeffekt ist die alte Koalition in Berlin auch an der Frage der Schuldenbremse zerbrochen. Insofern spielt dieses Thema für die kommende Regierung eine zentrale Rolle – egal welche Koalition am Ende in Berlin regieren wird. Ob es aber wirklich zu einer Lockerung der Schuldenbremse kommen wird, ist derzeit völlig ungewiss.
Wirtschaftlich sinnvoll wäre ein solcher Schritt auf jeden Fall. Das gilt jedoch nur für den Fall von zielgerichteten Investitionen, die dann in den Bereichen Infrastruktur, Energiewende und Digitalisierung umgesetzt werden. Eine weitere Steigerung der Sozialausgaben auf Pump wäre der falsche Weg.
Derzeit bröckelt unser Status als wirtschaftlich stärkstes Land der Euro-Zone. Die Stimmung in der Industrie ist sehr schlecht – auch weil die Rahmenbedingungen für den Standort Deutschland immer schlechter geworden sind. Massive Regulierung auf fast allen Ebenen schränkt den Gestaltungsspielraum vieler Unternehmen stark ein. Insofern kann die Lockerung der Schuldenbremse nur ein Weg zu verbesserten Standortbedingungen in Deutschland sein. Zusammen mit einem Bürokratieabbau könnte einer neuen Regierung so ein Neustart gelingen.
Tim Winstone, Head of Investment Grade Credit, Janus Henderson Investors
© Janus Henderson Investors

Tim Winstone, Head of Investment Grade Credit, Janus Henderson Investors

Die deutsche Wirtschaftsleistung war in den letzten Jahren angespannt. Befürworter einer Reform der Schuldenbremse glauben, dass gezielte, strategische Investitionen als Katalysator für Wirtschaftswachstum, Innovation und Arbeitsplatzschaffung wirken könnten, was letztlich zu einer stärkeren, widerstandsfähigeren Wirtschaft führen würde.
Die Schuldenbremse war zwar ein Mittel der Haushaltsdisziplin, doch die wirtschaftlichen Herausforderungen und Möglichkeiten könnten eine Neubewertung der strengen Vorgaben erforderlich machen. Ein Teil der Mehrausgaben dürfte in Verteidigung und Infrastruktur fließen. Dies entspricht den internationalen Forderungen, dass die europäischen Länder ihre Verteidigungshaushalte aufstocken sollen.
Selbst bei lockereren Haushaltsvorschriften, nachhaltiges Wachstum braucht mehr: Bürokratieabbau, wettbewerbsfähiges Unternehmenssteuersystem und deutliche Energiekostensenkung. Die Regierungszusage, das Wirtschaftswachstum durch höhere Ausgaben anzukurbeln, kann Marktwahrnehmung und Investorenvertrauen positiv beeinflussen. Dies könnte das Kreditrisiko deutscher Unternehmen und ihre Finanzierungskosten senken, was die Wettbewerbsfähigkeit verbessern würde.
Dr. Wolfgang Bauer, Fondsmanager im Fixed Income Team, M&G Investments
© M&G Investments

Dr. Wolfgang Bauer, Fondsmanager im Fixed Income Team, M&G Investments

Während die Stimmen, die eine Lockerung der Schuldenbremse fordern, angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage Deutschlands lauter werden, dürfen die damit einhergehenden Risiken in der Diskussion nicht übersehen werden.
Erstens profitiert Deutschland von seinem im Vergleich mit anderen westlichen Industrienationen geringen Staatsschuldenstand, da weniger Haushaltsmittel für Zinszahlungen aufgewendet werden müssen. Sollten die Schulden – und damit das Kreditrisiko – Deutschlands deutlich ansteigen, könnten Investoren bald höhere Renditen auf Bundesanleihenm einfordern.
Zweitens könnten andere Staaten in der Euro-Zone ein Aufweichen der deutschen Schuldenbremse als Signal verstehen, sich ebenfalls noch höher zu verschulden. Eine völlige Abkehr von den Maastricht-Kriterien hin zu einem europäischen Schuldenwettlauf könnte enorme systemische Risiken zur Folge haben.
Und drittens ist auch der Kausalzusammenhang zwischen der Aufnahme höherer Schulden und einer langfristigen Stärkung der deutschen Wirtschaft keinesfalls sicher. Hierzu müsste sichergestellt werden, dass die Gelder auch wirklich so investiert werden, dass nachhaltig die Produktivität und damit die Wettbewerbsfähigkeit gestärkt würden.
Daniel Kerbach, Chief Investment Officer, Head Investment Management, BayernInvest
© BayernInvest

Daniel Kerbach, Chief Investment Officer, Head Investment Management, BayernInvest

Die Schuldenbremse bleibt ein zentrales Instrument für die Stabilität der deutschen Finanzpolitik, doch angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage könnte eine gezielte Lockerung sinnvoll sein. Eine moderate Reform – etwa durch eine zeitweilige Aussetzung, Sondervermögen oder eine Flexibilitätsklausel – könnte das Wirtschaftswachstum stabilisieren. Dies würde Spielräume schaffen, um fiskalische Maßnahmen wie etwa eine Senkung der Unternehmenssteuern zu finanzieren. Eine solche Senkung um 5 Prozent könnte die Gewinne deutscher Unternehmen um bis zu 8 Prozent steigern und gleichzeitig ihre Wettbewerbsfähigkeit verbessern.

Entscheidend ist jedoch die Signalwirkung: Ein reformiertes Regelwerk könnte das Vertrauen der Unternehmen stärken, was sich positiv auf die Kapitalmärkte auswirken würde. Nach der starken Outperformance von US-Aktien könnte es zu einer Neubewertung deutscher und europäischer Titel kommen. Angesichts der negativen Wahrnehmung Deutschlands bei globalen Investoren wäre eine Reform der Schuldenbremse ein wichtiger Schritt, um die wirtschaftliche Dynamik des Landes wiederzubeleben.
Felipe Villarroel, Partner und Portfoliomanager, TwentyFour Asset Management
© Vontobel

Felipe Villarroel, Partner und Portfoliomanager, TwentyFour Asset Management

Die deutsche Wirtschaft stagniert seit mehreren Quartalen und hat teilweise die internationale Wettbewerbsfähigkeit verloren. Maßnahmen der neuen US-Administration könnten die Lage verschärfen.

Die Bundestagswahl birgt das Potenzial für höhere Ausgaben. Die Verschuldung Deutschlands ist im internationalen Vergleich unglaublich niedrig. Wenn die neue Regierung den Geldbeutel lockern und investieren würde, hätte dies positive Auswirkungen und würde auch von den Märkten unterstützt werden.

Spielraum gibt es: Mit 63% des BIP ist die Schuldenlast die zweitniedrigste in den G7, alle Ratings liegen bei AAA mit stabilem Ausblick. Das Haushaltsdefizit für 2024 wird auf 2,5% des BIP geschätzt, was ebenfalls zu den niedrigsten in der G7 gehört. Auch weist Deutschland einen erheblichen Leistungsbilanzüberschuss von über 6% des BIP auf. Das bedeutet: Die Nettoersparnisse der deutschen Haushalte und Unternehmen reichen nicht nur aus, um das geringe Staatsdefizit zu finanzieren, sie verleihen auch eine große Menge Geld an den Rest der Welt.

Die Parteien haben sich mit Blick auf eine Reform der Schuldenbremse zurückhaltend gezeigt. Es kommt also darauf an, wie sich die Debatte entwickeln wird.
Gareth Colesmith, Head of Global Rates and Macro Research, Insight Investment
© Insight Investment

Gareth Colesmith, Head of Global Rates and Macro Research, Insight Investment

Deutschland befindet sich seit der Pandemie in einer Phase industrieller Schwäche, insbesondere in den wichtigen Produktionsbereichen Automobil und Maschinenbau, und sieht sich mit erheblichen strukturellen Problemen konfrontiert.

Obwohl Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern eine viel geringere Nettokreditaufnahme und -verschuldung aufweist, hindern die Haushaltsregeln die Regierung, negative Trends auszugleichen. Die strengen deutschen Haushaltsregeln – die Schuldenbremse - begrenzen die öffentlichen Ausgaben so, dass das strukturelle Defizit 0,35% des BIP nicht überschreiten darf. Diese Einschränkung hat die Regierung daran gehindert, den schwachen Konsum und die privaten Investitionen auszugleichen. Im Gegensatz zu Frankreich hat Deutschland einen beträchtlichen fiskalischen Spielraum, um die öffentlichen Ausgaben zu erhöhen.

Die Wahlen versprechen die Möglichkeit eines Wandels und bieten Deutschland die Chance, seine wirtschaftlichen Herausforderungen anzugehen. Eine wahrscheinliche Koalition zwischen CDU/CSU und SPD bedeutet, dass es eine Chance für eine Reform der Schuldenbremse, höhere Verteidigungsausgaben und eine Überarbeitung der Energie- und Industriepolitik gibt.
François Rimeu, Senior Strategist, Crédit Mutuel Asset Management
© Crédit Mutuel Asset Management

François Rimeu, Senior Strategist, Crédit Mutuel Asset Management

Zwar ist der Ausgang der Bundestagswahl am 23. Februar noch ungewiss, doch zeichnet sich bereits jetzt ab, dass eine Koalition aus CSU/CDU, SPD und Grünen über mehr als zwei Drittel der Sitze im Parlament verfügen und damit das Grundgesetz ändern könnte.
Friedrich Merz, der CDU-Vorsitzende und wahrscheinliche nächste Bundeskanzler, hat bereits seine Unterstützung für eine Änderung der Schuldenbremse signalisiert. Angela Merkel hat dies im vergangenen Jahr ebenso getan wie Markus Söder (CSU-Vorsitzender). Wir glauben, dass es jetzt einen ausreichenden Konsens für eine Änderung im Jahr 2025 gibt. Am wahrscheinlichsten sind Ausgaben für Militär und Infrastruktur, aber auch Steuersenkungen sind denkbar.
Selbstverständlich würde sich dies positiv auf die deutschen Wachstumsaussichten auswirken, die derzeit auf 0,4% für 2025 geschätzt werden und damit zu den niedrigsten Werten in der Eurozone gehören. Im Falle eines umfangreichen fiskalischen Stimulus könnte dies auch die Haltung der EZB im weiteren Jahresverlauf verändern.

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Teil 1 der Experten-Umfrage können Sie hier nachlesen.

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